"Faust", schreit Camilla Horn, und noch einmal "Faust", beinahe
lippensynchron zu den Bildern des Films. Es ist die fast achtzigjähre
Camilla Horn, die da ruft, als sie sich selbst, zwanzigjährig, sieht,
in Murnaus Stummfilm. Zu sehen und zu hören ist das in einer
Fernsehaufnahme, die das Deutsche Filmmuseum in seiner Murnau-Ausstellung
als Endlosschleife laufen lässt. Einiges erfährt man in Horns
Auskünften über die Schauspielerführung, jedenfalls im Umgang
mit der Anfängerin, die es als Gretchen mit den Profis Gösta Ekman
(Faust) und Emil Jannings (Mephisto) zu tun bekam. In der Mittagspause blieb
sie angekettet und ohne Gnade ließ Murnau ihr den Schnee aus feinem
Sprühwasser ins Gesicht blasen. Camilla Horn erinnert sich schmerzhaft
an das Leid - und ist voller Bewunderung zugleich: das hat er schon richtig
gemacht.
Lebendiger als in diesen wenigen Erinnerungsmomenten wird Murnau nicht
in der Ausstellung. Nicht in den Brief-Exponaten und auch nicht in den
frühen Aufnahmen als Theaterschauspieler, beides wenn nicht lieblos,
dann doch nicht sehr einfallsreich präsentiert. Gleiches gilt für
die Schautafeln zu den wichtigsten Mitarbeitern und Freunden, man wird in
wenigen Sätzen informiert, hier und da ein Fotodokument, das war's.
Es regiert, wie so oft, die Angst vorm Text, vieles hat der Besucher sich
selbst zusammen zu reimen - oder im Katalog nachzulesen. So bleibt auch die
Zusammenstellung von Filmausschnitten und Gemälden, zu sehen auf den
Multimedia-Blöcken im Mittelgang, bloße Suggestion, man fragt
sich nur: was wird hier suggeriert. Ein Glück, dass Frieda Grafe, dazu
später, viel Kluges geschrieben hat. An interessanten Schaubobjekten
gibt es nachgebaute Modelle, der Landschaft etwa, über die Faust und
Mephisto hinweggleiten, dazu die Stachow-Kamera, mit der Karl Freund die
Bilder des "Letzten Manns" entfesselt hat.
Weitgehend unkommentiert bleiben Murnaus Fotografien, so verblüffend
sie sind. Nackte Männer in freier Natur, stereofotografiert. Wenn man
nicht von selber drauf kommt, dass der Mann hinter dieser Linse schwul gewesen
sein dürfte, hat man Pech gehabt. Die Macher der Ausstellung verraten
es einem jedenfalls nicht. Wie wenig das mit Indiskretion zu tun haben
müsste, kann man im besten Buch zu Murnau nachlesen, das es gibt - oder
genauer: nicht mehr gibt, dem in der blauen Hanser-Reihe Film erschienenen,
dem Regisseur gewidmeten Band. Vergriffen natürlich, wie alle Titel
dieser Reihe, die das beste war, was es an Filmbüchern in Deutschland
je gab. Darin ein überaus brillanter Aufsatz von Frieda Grafe, der auf
die vertrackteste Weise ein biografischer Abriss gerade zu sein vermeidet,
dafür aber die Formkunst Murnaus so konzentriert wie prägnant
herausarbeitet. Dazu kommen so kluge wie erhellende Kommentare zu den einzelnen
Filmen von Fritz Göttler.
Mit diesem Band konkurriert, schon der ähnlichen Anlage wegen,
der Katalog zu Ausstellung und Retrospektive. Thomas Koebners Werkanalysen,
mit denen das Buch eröffnet, sind verlässlich und
lassen, könnte man sagen, nichts aus - den Vergleich mit Grafes filigraner
Lesekunst freilich verträgt der recht umfangreiche und mit manch eher
vulgärer Beobachtung belastete Text nicht aus. Interessant, wenn auch
nicht mehr als das, sind die Materialien, insbesondere die Informationen,
die Daniela Sannwald zur Verschränkung von Leben und Werk mitteilt.
Zur Entstehungs- und Nicht-Entstehungsgeschichte der einzelnen Filme ist
hier manches Neue zu erfahren. Bleibt der Hauptteil des ganzen, der aus einer
Sammlung von Dokumenten zu jedem der Filme besteht, in der Regel
zeitgenössischen Kritiken (am interessantesten natürlich da, wo
der Film verschollen ist), ergänzt um Essays von heutigen
Filmemachern.
Die Lektüre dieser Texte nun ist eine einzige Berg- und Talfahrt,
die Kommentare reichen vom Dämlichen (Rosa von Praunheim zu
Nosferatu) zum Intelligenten (Hanns Zischler zu Schloss
Vogelöd), um Texte, die die Welt gebraucht hat, handelt es sich
fast durchweg nicht. Penetrant wie stets Wim Wenders, dessen in arger Länge
ausgewalzte Probleme mit der Filmgeschichte uns nicht kümmern müssen.
Dominik Graf dagegen setzt, Murnau zum Ausgangspunkt von Glanz und Elend
des deutschen Filmschaffens nehmend, seine publizistischen Ausritte der letzten
Monate fort, in denen er einen neuen deutschen Film aus dem Geist von Trash
und Leidenschaft herbeizuschreiben versucht. Lesenswert allemal, nur vielleicht
ein klein wenig deplatziert. Reuen muss der Kauf des Katalogs,
der fast allen etwas bietet, den Leser nicht - allein die
zahlreichen Reproduktionen von Film-Stills und Privataufnahmen sind das Geld
schon wert. Und auch den Coffeetable schmückt der Band ganz
ungemein.
Texte zu Murnau-Filmen
Schloss
Vogelöd
Berühmt die statische Einstellung - in der fortgesetzten
Rückblende -, überwirklich: ein großer langer Saal mit zwei
Türen am Ende, links und rechts an der Seite, kaum zu erkennen, die
Frau und der Mann, er hat den Mord gestanden, ein Innenraum der Psyche, das
wiederholt sich, im kleineren Format, fast am Ende, als alles aufgeklärt,
alles vom Überwirklichen ins Wirkliche zurückgekehrt ist: ein kleinerer
Saal und zwei Frauen liegen sich tröstend im Arm.
Tartüff
Um fast nichts anderes geht es in Tartüff als um Blicke. Entlarvung
im Off der Beteiligten. Die Haushälterin und ihr diebisches Lachen,
sobald der Großvater anderswohin sieht. Rechts und links gekascht der
erste verstohlene Blick durch eine Tür, der Enkel beobachtet die
Haushälterin, wie sie Gift ins Glas mischt. Dadurch präfiguriert:
die Entdeckungsszene des Films im Film, inszeniert recht eigentlich als Film
im Film im Film. Der Blick des Zuschauers geht durchs Schlüsselloch;
ohne Kasch interessanterweise. Die Wahrheit, wiederum, leinwandfüllend.
Faust
Ein Genuss fürs Auge sind die Doppelbelichtungen, Feuer und Flamme,
Pesthauch und brennende Schrift, allein das Auge schweift über die
Attraktionen der Leinwand, nicht konzentriert, sondern Zerstreuung suchend
in den liebevollen Details. Eigentümlich zuhause fühlt man sich
in diesen Bildern, im Abgekapselten des imaginierten Mittelalters, obwohl
- oder gerade weil - man sich in ihnen nicht an die Illusion der Darstellung
verliert. Was man vielmehr genießt, ist die Darstellung der
Illusion.
Tabu
Und längst ist das Meer, Ort zunächst der Symbiose, als
solcher in den ersten Bildern inszeniert, tödlich geworden. Murnau findet
dafür das Bild vom endlos ablaufenden Seil auf einem Muscheltaucherboot,
kündigt damit das Ende Matahis an, der über Riff und Meer und Meer
und Riff der auf Hitus Schiff entschwindenden Reri hinterhereilt - eine Flucht,
die an die Flüssigkeit der Bewegungen des Beginns anzuschließen
scheint -, das Seil zu fassen bekommt. Mit Hitus Schnitt erfüllt sich
das Gesetz. Von allen Ordnungen verlassen, stirbt Matahi im Meer, das nun
auch noch gegen ihn sich wendet. Nicht "The End" erscheint auf der Leinwand,
es erfüllt sich am Ende die Schrift: "Tabu".
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