Vom ersten Augenblick an herrschen gleichermaßen Verwirrung und
Schönheit in diesem wunderbaren Scope-Film mit der Auftaktsequenz in
Schwarzweiß und einem weiteren Verlauf in knallig von der Leinwand
brandendem Technicolor: Ein erster Mord, begangen in froststarrer Schneenacht,
ist aufzuklären. Weitere Todesfälle folgen. Eine Atmosphäre
mysteriöser, geradezu unwirklicher Pracht. Diese bei Gelegenheit ins
Surreale umkippende Stimmung wird Chor den gesamten Film über
aufrechterhalten. In diesem Todesballett werden den Tänzern die
Gefühle wie Vipern duch die Herzen gleiten und sich fast übergangslos,
von einem Augenblick auf den anderen von Mordlust in Fleischeslust und
zurück verwandeln. Eine grandios schillernde Emo-Quecksilbrigkeit. Anmutig
ist hier allerdings nur die Oberfläche. In dieser Welt ist nichts so,
wie es schient. Darunter verbergen sich die häßlichen Abgründe
des menschlichen Seins mit dem ganzen Spektrum der Grausamkeiten - sexuelle
Erniedrigung, Ausbeutung und Folter dabei noch die harmlosesten. Eine zutiefst
korrupte, unmoralische Welt, in der man sich mit genügend Einfluß
oder Geld und der nötigen Skrupellosigkeit jede Freiheit erkaufen kann,
auch die, das Recht mit Füßen zu treten. Am verkommensten sind
die Besitzenden, Mächtige, Würdenträger. Dies wird dem
entführten und zur Prostitution in einem Nobelbordell gezwungenen
Edelfräulein Ai Nu erbarmungslos klargemacht. Aus dem Hexenkessel gibt
es kein Entkommen: "It's not easy to die here!" wirft die grausame Bordellwirtin,
eine betörende, faszinierende Venus der Vernichtung, höhnisch Ai
Nu entgegen, die sich durch Erhängen aus Schmach und Schande befreien
wollte - zu ihrem Unglück aber in letzter Sekunde entdeckt wird. Ein
schwereres Los als der Tod. Denn Ai Nu, die sich nun in der Wahl der Mittel
ihrer brutalen Umgebung anpaßt, um wenigstens die Genugtuung der Rache
an ihren Peinigern zu haben, wird weder Leib noch Seele retten können.
Das Finale gestaltet Chor zu einem absurden Schlachtengemälde. Ein
ausuferndes Gemetzel hebt an, dem niemand entkommen wird. Darin bringt Chor
noch eine Hommage an die damals sehr erfolgreiche ONE-ARMED SWORDSMAN-Filmreihe
seines Shaw-Studiokollegen Chang Cheh unter: Eine furios wütende, einarmige
Schwert-Kurtisane läßt Dutzende Tote in ihrem Blut baden. Seine
waghalsige Rundreise durch die Genres beendet er mit einem höchst
melodramatischen inszenierten Todeskuß - gleichzeitig Liebesbeweis
und selbstmörderische Zurückweisung. Das ist Pulp Fiction pur.
Aber nicht nur. Denn hier treffen Strömungen aus der chinesischen Hochkultur
und der Trivialunterhaltung mit hoher Wucht aufeinander. Auch wenn Chors
Protagonistinnen sich in einer Männernwelt, innerhalb von Männern
geschaffenen Herrschaftsstrukturen bewegen, sind doch sie die Aktiveren und
Überlegenen. Sie sind verschlagener, rücksichtsloser, verbissener,
kampfstärker. Sie machen sich die Erfolgstugenden der Männernwelt
zueigen. Ihr spiegelverkehrtes Spiel ist von gnadenloser Härte. Die
Männer haben dem nichts entgegenzusetzen, werden mit ihren eigenen Mitteln
geschlagen und erleben tödliche Penetrationsvergeltung. Innerhalb des
eskapistischen Kontexts von INTIMATE CONFESSIONS (und auch dem vieler anderer
Genrefilme aus Hong Kong) ist der thematische Ausbau des Scheiterns eines
emanzipatorischen Ansatzes innerhalb traditioneller Strukturen nur folgerichtig.
Das Motiv der starken Frauen stammt dabei aus der chinesischen Opernwelt.
Dort werden heroische Schwertkampfamazonen, von Fall zu Fall siegreich oder
tragisch scheiternd, als sogenannte Daomadan und Wudan typisiert.
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Für Aufregung sorgte beim Start des Films etwas anderes als das
Ausmaß der Darstellung von Laster und Gewalt oder weiblicher Dominanz
- daran war das Publikum in Hong Kong schließlich ausgiebig gewöhnt
worden. Zum Skandal wurden einige heute lächerlich harmlose Szenen
gleichgeschlechtlicher Liebe. Einer anderen allerdings, als jener, die Chang
Cheh so gern als schwülstig-heroische, hyper-machistische
Männerbeziehungskisten unter Waffenbrüdern kaschierte und wegen
der Uneindeutigkeit der homosexuellen Stimmung akzeptabel war. Anders Chors
Lesbierinnen - da mußte nichts dekodiert werden, das war eindeutig.
Mit den Mitteln der bewußten Überspitzung transformiert Chor einige
der von ihm ausgemachten Hauptmerkmale der gesellschaftlichen Wirklichkeit
des modernen Hong Kongs in eine monströse Groschenheft-Historie, um
hierdurch die Raubtiermoral des verschärften Hyperkapitalismus in seiner
Heimatstadt als eine sich durch alle Epochen der Geschichte ziehende Konstante
zu entlatven. Daß das Geschehen trotz seines historischen Dekors
tatsächlich als allegorischer Verweis auf reale Lebenssituationen im
Hong Kong der frühen 70er Jahre zu verstehen ist, bestätigt Chors
Drehbuchautor Yau Kong-kin (Hochchinesisch: Qiu Gangjian), der sich an nicht
wenige hitzige Diskussionen mit dem Regisseur erinnert, in denen es um die
zahlreichen, für damalige Zuschauer leicht zu entschlüsselnde soziale
Kommentare ging, die Yau in seinem Script nicht vorgesehen hatte. Verwunderlich
ist dies nicht, denn jenseits seines Hangs zu schrillen filmischen
Überzeichnungen ist Chors Selbstverständnis geprägt von sozialer
Verantwortung und einem aufklärerischen Gestus. Nicht umsonst gelten
seine frühen kantonesischen Familiendramen unter Kritikern als
bemerkenswerte Beispiele eines die soziale Wirklichkeit der Arbeiterklasse
in Hong Kong nachzeichnenden Neo-Realismus.
Die prägnanten sadomasochistischen Folterphantasien von INTIMATE CONFESSIONS
gehören (neben ähnlichen Aspekten in Filmen des späten Li
Hanxiang) zu den wichtigsten Grundlagen für die besonders zwischen Ende
der 80er und Mitte der 90er Jahre angesagten, oft recht gewalttätigen
Histo-Sexploiter wie SEX AND ZEN (HK, '91), A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY
(HK, '94) u.v.a.m.
Etwas mehr als zehn Jahre nach INTIMATE CONFESSIONS wird für Chor nach
dem Wuxia pian THE HIDDEN POWER OF DRAGON SABRE (HK, '84), seinem letzten
Versuch in Sachen Martial-Arts, und durch das Zusammenschmelzen des Markts
für Kampfkunst-, speziell Schwertkampffilme auch das Ende der
Shaw-Brothers-Filmproduktion absehbar. Er muß wieder einmal seine
Arbeitsweise umstellen. Mit Softsex-Exploitation in historischem Gewand wie
LUST FOR LOVE OF A CHINESE COURTESAN (HK, '84) und dem Schwertkampfspukgeschichte
THE ENCHANTRESS (HK, '85) versucht er sich auf die veränderten
Sehgewohnheiten des Publikums einzupegeln. Auch wenn es sich um
künstlerisch eindrucksvolle Werke handelt: Sie gehen völlig am
Zuschauergeschmack vorbei und bleiben an den Kinokassen vorhersagbar erfolglos.
Interessanterweise handelt es sich bei LUST FOR LOVE A CHINESE COURTESAN
um eine thematsich und ästhetisch nur leicht abgewandelte Variation
seines '72er-Erfolgs INTIMATE CONFESSIONS. Aber Chor hätte sich damals
nicht schon über ein Vierteljahrhundert im Geschäft halten
können, wenn er sich durch einige Mißerfolge hätte entmutigen
lassen. Erfolgsorientiert arbeitet er von nun an mit Themen, die unverstellt
die Gegenwart der Hong Konger Gesellschaft betreffen und findet hierüber
schnell Anschluß an das inzwischen tonangebende, sogenannte Neue
Hong-Kong-Kino jener Generation junger, oft im Westen ausgebildeter Regisseure,
das seit Ende der 80er Jahre das Interesse weltweit auf sich zieht. Sein
erster, gleich erfolgreicher Vorstoß in Richtung der neuen
Marktbedürfnisse ist FASCINATING AFFAIRS (HK, '85), in der er auch eine
Nebenrolle übernimmt. Mit dieser modernen und romantischen
Großstadtkomödie ist er prinzipiell dort wieder angekommen, wo
er Ende der 50er Jahre seine Karriere begonnen hat: bei einem Kino, das dank
seiner aktuellen Bezüge direkt in die Herzen der Zuschauer trifft.
-MAERZ- (Axel Estein) |