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2.Teil
(zurück zum 1. Teil)

Horizontale Anmut und schwerer Waffengang (Forts.)

Von -MAERZ- (Axel Estein)

 

 

 
Vom ersten Augenblick an herrschen gleichermaßen Verwirrung und Schönheit in diesem wunderbaren Scope-Film mit der Auftaktsequenz in Schwarzweiß und einem weiteren Verlauf in knallig von der Leinwand brandendem Technicolor: Ein erster Mord, begangen in froststarrer Schneenacht, ist aufzuklären. Weitere Todesfälle folgen. Eine Atmosphäre mysteriöser, geradezu unwirklicher Pracht. Diese bei Gelegenheit ins Surreale umkippende Stimmung wird Chor den gesamten Film über aufrechterhalten. In diesem Todesballett werden den Tänzern die Gefühle wie Vipern duch die Herzen gleiten und sich fast übergangslos, von einem Augenblick auf den anderen von Mordlust in Fleischeslust und zurück verwandeln. Eine grandios schillernde Emo-Quecksilbrigkeit. Anmutig ist hier allerdings nur die Oberfläche. In dieser Welt ist nichts so, wie es schient. Darunter verbergen sich die häßlichen Abgründe des menschlichen Seins mit dem ganzen Spektrum der Grausamkeiten - sexuelle Erniedrigung, Ausbeutung und Folter dabei noch die harmlosesten. Eine zutiefst korrupte, unmoralische Welt, in der man sich mit genügend Einfluß oder Geld und der nötigen Skrupellosigkeit jede Freiheit erkaufen kann, auch die, das Recht mit Füßen zu treten. Am verkommensten sind die Besitzenden, Mächtige, Würdenträger. Dies wird dem entführten und zur Prostitution in einem Nobelbordell gezwungenen Edelfräulein Ai Nu erbarmungslos klargemacht. Aus dem Hexenkessel gibt es kein Entkommen: "It's not easy to die here!" wirft die grausame Bordellwirtin, eine betörende, faszinierende Venus der Vernichtung, höhnisch Ai Nu entgegen, die sich durch Erhängen aus Schmach und Schande befreien wollte - zu ihrem Unglück aber in letzter Sekunde entdeckt wird. Ein schwereres Los als der Tod. Denn Ai Nu, die sich nun in der Wahl der Mittel ihrer brutalen Umgebung anpaßt, um wenigstens die Genugtuung der Rache an ihren Peinigern zu haben, wird weder Leib noch Seele retten können.

Das Finale gestaltet Chor zu einem absurden Schlachtengemälde. Ein ausuferndes Gemetzel hebt an, dem niemand entkommen wird. Darin bringt Chor noch eine Hommage an die damals sehr erfolgreiche ONE-ARMED SWORDSMAN-Filmreihe seines Shaw-Studiokollegen Chang Cheh unter: Eine furios wütende, einarmige Schwert-Kurtisane läßt Dutzende Tote in ihrem Blut baden. Seine waghalsige Rundreise durch die Genres beendet er mit einem höchst melodramatischen inszenierten Todeskuß - gleichzeitig Liebesbeweis und selbstmörderische Zurückweisung. Das ist Pulp Fiction pur.

Aber nicht nur. Denn hier treffen Strömungen aus der chinesischen Hochkultur und der Trivialunterhaltung mit hoher Wucht aufeinander. Auch wenn Chors Protagonistinnen sich in einer Männernwelt, innerhalb von Männern geschaffenen Herrschaftsstrukturen bewegen, sind doch sie die Aktiveren und Überlegenen. Sie sind verschlagener, rücksichtsloser, verbissener, kampfstärker. Sie machen sich die Erfolgstugenden der Männernwelt zueigen. Ihr spiegelverkehrtes Spiel ist von gnadenloser Härte. Die Männer haben dem nichts entgegenzusetzen, werden mit ihren eigenen Mitteln geschlagen und erleben tödliche Penetrationsvergeltung. Innerhalb des eskapistischen Kontexts von INTIMATE CONFESSIONS (und auch dem vieler anderer Genrefilme aus Hong Kong) ist der thematische Ausbau des Scheiterns eines emanzipatorischen Ansatzes innerhalb traditioneller Strukturen nur folgerichtig. Das Motiv der starken Frauen stammt dabei aus der chinesischen Opernwelt. Dort werden heroische Schwertkampfamazonen, von Fall zu Fall siegreich oder tragisch scheiternd, als sogenannte Daomadan und Wudan typisiert.
 


 Für Aufregung sorgte beim Start des Films etwas anderes als das Ausmaß der Darstellung von Laster und Gewalt oder weiblicher Dominanz - daran war das Publikum in Hong Kong schließlich ausgiebig gewöhnt worden. Zum Skandal wurden einige heute lächerlich harmlose Szenen gleichgeschlechtlicher Liebe. Einer anderen allerdings, als jener, die Chang Cheh so gern als schwülstig-heroische, hyper-machistische Männerbeziehungskisten unter Waffenbrüdern kaschierte und wegen der Uneindeutigkeit der homosexuellen Stimmung akzeptabel war. Anders Chors Lesbierinnen - da mußte nichts dekodiert werden, das war eindeutig.

Mit den Mitteln der bewußten Überspitzung transformiert Chor einige der von ihm ausgemachten Hauptmerkmale der gesellschaftlichen Wirklichkeit des modernen Hong Kongs in eine monströse Groschenheft-Historie, um hierdurch die Raubtiermoral des verschärften Hyperkapitalismus in seiner Heimatstadt als eine sich durch alle Epochen der Geschichte ziehende Konstante zu entlatven. Daß das Geschehen trotz seines historischen Dekors tatsächlich als allegorischer Verweis auf reale Lebenssituationen im Hong Kong der frühen 70er Jahre zu verstehen ist, bestätigt Chors Drehbuchautor Yau Kong-kin (Hochchinesisch: Qiu Gangjian), der sich an nicht wenige hitzige Diskussionen mit dem Regisseur erinnert, in denen es um die zahlreichen, für damalige Zuschauer leicht zu entschlüsselnde soziale Kommentare ging, die Yau in seinem Script nicht vorgesehen hatte. Verwunderlich ist dies nicht, denn jenseits seines Hangs zu schrillen filmischen Überzeichnungen ist Chors Selbstverständnis geprägt von sozialer Verantwortung und einem aufklärerischen Gestus. Nicht umsonst gelten seine frühen kantonesischen Familiendramen unter Kritikern als bemerkenswerte Beispiele eines die soziale Wirklichkeit der Arbeiterklasse in Hong Kong nachzeichnenden Neo-Realismus.

Die prägnanten sadomasochistischen Folterphantasien von INTIMATE CONFESSIONS gehören (neben ähnlichen Aspekten in Filmen des späten Li Hanxiang) zu den wichtigsten Grundlagen für die besonders zwischen Ende der 80er und Mitte der 90er Jahre angesagten, oft recht gewalttätigen Histo-Sexploiter wie SEX AND ZEN (HK, '91), A CHINESE TORTURE CHAMBER STORY (HK, '94) u.v.a.m.

Etwas mehr als zehn Jahre nach INTIMATE CONFESSIONS wird für Chor nach dem Wuxia pian THE HIDDEN POWER OF DRAGON SABRE (HK, '84), seinem letzten Versuch in Sachen Martial-Arts, und durch das Zusammenschmelzen des Markts für Kampfkunst-, speziell Schwertkampffilme auch das Ende der Shaw-Brothers-Filmproduktion absehbar. Er muß wieder einmal seine Arbeitsweise umstellen. Mit Softsex-Exploitation in historischem Gewand wie LUST FOR LOVE OF A CHINESE COURTESAN (HK, '84) und dem Schwertkampfspukgeschichte THE ENCHANTRESS (HK, '85) versucht er sich auf die veränderten Sehgewohnheiten des Publikums einzupegeln. Auch wenn es sich um künstlerisch eindrucksvolle Werke handelt: Sie gehen völlig am Zuschauergeschmack vorbei und bleiben an den Kinokassen vorhersagbar erfolglos. Interessanterweise handelt es sich bei LUST FOR LOVE A CHINESE COURTESAN um eine thematsich und ästhetisch nur leicht abgewandelte Variation seines '72er-Erfolgs INTIMATE CONFESSIONS. Aber Chor hätte sich damals nicht schon über ein Vierteljahrhundert im Geschäft halten können, wenn er sich durch einige Mißerfolge hätte entmutigen lassen. Erfolgsorientiert arbeitet er von nun an mit Themen, die unverstellt die Gegenwart der Hong Konger Gesellschaft betreffen und findet hierüber schnell Anschluß an das inzwischen tonangebende, sogenannte Neue Hong-Kong-Kino jener Generation junger, oft im Westen ausgebildeter Regisseure, das seit Ende der 80er Jahre das Interesse weltweit auf sich zieht. Sein erster, gleich erfolgreicher Vorstoß in Richtung der neuen Marktbedürfnisse ist FASCINATING AFFAIRS (HK, '85), in der er auch eine Nebenrolle übernimmt. Mit dieser modernen und romantischen Großstadtkomödie ist er prinzipiell dort wieder angekommen, wo er Ende der 50er Jahre seine Karriere begonnen hat: bei einem Kino, das dank seiner aktuellen Bezüge direkt in die Herzen der Zuschauer trifft.

-MAERZ- (Axel Estein)