Ein Kind, das aus einem dunklen Hinterhof durch einen Tordurchbruch
ins gleißende Licht läuft, eines der ersten Bilder des Films.
Es sind dies Bilder eines Traums, den Yumiko träumt, von ihrer
Großmutter, die sie verlässt, um in ihrem Heimatort sterben zu
können. Es folgt eine Schwarzblende, die Titel, Nacht. Yumiko erwacht
aus dem Traum, der auftritt als Prolog, in dem das Licht eingeführt
wird und die Dunkelheit und der Tod. Sterben wird, nach ruhigen, auf alles
raunende Vorausdeuten verzichtenden Bilder aus dem Alltag der beiden, der
Mann, neben dem Yumiko aus ihrem Traum erwacht, Ikuo, der Vater ihres drei
Monate alten Sohnes. Ein Mann klopft an der Tür und bittet, einen vom
Zug Überfahrenen zu identifizieren. Es ist Ikuo. Niemand hat eine
Erklärung, warum er nicht ausgewichen ist, warum er den Tod gesucht
hat, vor allem Yumiko nicht, die weiterlebt, in Trauer, beobachtet aus der
Distanz von Kore-eda, einer Distanz, die er nie aufgeben wird; nicht einmal
in den wenigen Close-Ups rückt die Kamera der Figur zu nah.
Zeit vergeht. Yumiko heiratet einen Mann, der nicht in der Stadt wohnt,
Osaka, sondern in einer Ansiedlung am Meer, in zerklüfteter Landschaft,
das Rauschen der Wellen, die an den Strand branden, den Strand vor der Tür,
hört nie auf. Aus dem Fenster fällt der Blick aufs Meer, immer
wieder, das ist das letzte Bild des Films. Von innen nach außen. Aus
dem Dunklen ins Helle. Ein Leitmotiv: Tunnel, durch die Züge fahren.
Ein Tunnel, grün schimmernd, durch den Yumikos Sohn und die Tochter
ihres neuen Ehemanns ins Licht laufen. Einmal auch Yumiko im Zug vor dem
gleißenden Licht, in das die vorbeifliegende Landschaft zerfließt.
Bei aller Trauer, bei aller Ruhe, bei allem bewussten Verzicht auf
Emotionalisierung, auf Urteil insistiert Kore-eda auf diesem Motiv. Das Licht
bleibt. Ein Phantom-Licht vielleicht, denn das heißt Maborosi zu deutsch:
Irrlicht, Tod also und Hoffnung in einem.
Erst einmal scheint das Glück wieder Einzug zu halten. Yumiko
liebt Tamio, auch er ein Witwer. Und er liebt sie. Die Kinder mögen
einander. Wieder diese Alltagsbilder, die Kore-eda ausleuchten lässt
und kadriert und stillstellt zu Tableaus aus der Halbdistanz, oft mit dem
Ozu-Blick von knapp über dem Boden. Bilder wie Gemälde, darunter
atemberaubende Vermeers. Bilder von purer, still leuchtender Schönheit,
die niemals überwältigen wollen. Auf dieses Glück, das der
Film zwischendurch in Landschaftsaufnahmen mit sanfter Musik festhalten zu
wollen scheint, fällt ein Schatten. Yumiko fährt zurück nach
Osaka, zur Hochzeit ihres Bruders, erst jetzt, scheint es, wird ihr das
Ausmaß des Unerklärlichen bewusst. Warum wollte Ikuo, mit dem
sie glücklich war, mit dem sie gescherzt, mit dem sie das gestohlene
Fahrrad angemalt hat, mit dem sie ein Kind hatte - warum wollte er sterben?
Es wird darauf keine Antwort geben, keine erbauliche und auch keine
düstere. Es ist, wie es ist. Das ist es, was jede dieser langen
Einstellungen zu sagen scheint. Es ist nicht gut, aber es ist. In der
Schönheit der Bilder liegt kein falscher Trost, aber doch ein Blick,
der zeigt, dass auch anderes ist als die Trauer und die Verzweiflung. Und
anderes, auch das, als das Glück. In den letzten Einstellungen sind
die Menschen verschwunden. Man sieht die Landschaft, das Meer, den Fels.
Und dann, zuletzt, der Blick durchs Fenster. Von innen nach außen.
Vom Dunklen ins Helle.
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