1999 Matrix, 2003
Matrix Reloaded, im Herbst 2003 Matrix Revolutions; der Abstand
zwischen den beiden Sequels deutlich geringer als der zum ersten Film. Die
Dramaturgie der Releases folgt hier einem anderen Schema als etwa im Fall
der drei Teile von Lord of the
Rings: auch dies ein mehrstelliges Event, aber entsprechend dem
proto-mythischen Zuschnitt der Tolkienschen Saga ganz den Prinzipien
Gleichmaß und Wiederkehr verpflichtet. Proto-mythisch, genauer:
mythenverliebt auch das Projekt der Brüder Wachowski, das indes nicht
darauf angelegt ist, noch die Filmstarts nach dem Muster eines Ritus zu
organisieren, sondern eher dem eigenen, innerdiegetischen korrespondiert,
das mit Dehnung und Stauchung der Zeit zu tun hat.
Hier also die Fortsetzung nach vier Jahren, in vielen Kinos als Double
Feature Matrix / Matrix Reloaded, was allein schon dadurch
bedingt ist, dass die Wachowskis, nichts anders als Peter Jackson, keine
Anstalten machen, im zweiten von drei Filmen irgend eine Informationen
unterzubringen, die bereits im ersten zu finden war. Kein briefing,
keine Rückblenden; wem zum Verständnis des Reload bestimmte
Auskünfte fehlen, wird diese dort finden, wo Neo (Keanu Reeves), der
Hacker und Erlöser, selbst in die Struktur der Matrix und seine Rolle
eingewiesen worden ist. (Affinität zu
Spiderman: Beide Male braucht
es nicht weniger als die Länge eines ganzen Films, bis der, aus dem
ein Held werden soll, erstens über seine Bestimmung orientiert ist,
und zweitens bereit, diese anzunehmen.) Entsprechend bedeutet Matrix Reloaded
auch den Reload, Neustart, des ersten Films, der im aktuellen Szenario als
Memo oder Folie figuriert. Kohärenz produziert das Double Feature
außerdem, was insofern von Bedeutung sein kann, als diese Geschichte,
anders als die des Lord of the Rings, kein Raum-Zeit-Kontinuum kennt und
kaum dazu geschaffen scheint, Teil II dort einsetzen zu lassen, wo Teil I
aufhörte.
Wo er einsetzt? Man könnte sagen: irgendwo, in der Zeit, im Raum,
mit Ereignissen, die in der Matrix spielen und zunächst als Traum
ausgewiesen werden. Später, am Ende, wenn sie sich wiederholen, werden
sie etwas anderes sein, doch liegt zwischen dem ersten und dem zweiten Ablauf
eine ganze Weile und die Bekanntschaft mit anderen Schauplätzen als
denen, die im ersten Teil aufgeboten wurden. Schauplätze des ersten
Teils: das Schiff als mobiler Einsatzort, von dem aus die virtuellen Reisen
der Kombattanten in die Matrix organisiert werden; die Matrix selbst als
immersive Bildwelt und Verblendungszusammenhang; die Bio-Fabriken, in denen
ein Volk von Unfreien herangezüchtet wird, um es von Maschinen aufzehren
zu lassen, während ein Hyperprogramm in seinen Köpfen jene Illusion
von Weltbestand und Weltbesitz aufrechterhält, die für Morpheus,
Trinity, Switch, Neo unwiderruflich durchbrochen ist. Schauplätze des
zweiten: das Schiff, die Matrix, die Stadt Zion, derselben Realität
angehörend wie die Fabriken und in dieser Realität Gegenwelt par
excellence als letzte Bastion und Sitz des organisierten Widerstands.
Matrix Reloaded wird von der Bedrohung dieser Gegenwelt handeln.
Zion, die gelobte. Dieser Stadtstaat ist Komposit und Pastiche all
der Zivilisationen, die Regisseure wie Scott, Gilliam, Cameron, Fincher in
ihren Filmen erkundet haben. Alien zuallererst: mit den Folgen 1 und 3 teilt
Matrix das Konzept einer Organizität des Maschinellen, die Geschichte
vom Einbruch fremder Lebensformen in den Körper, aber auch die Faszination
für jenes fortgeschrittene Stadium des Gebrauchs und Verfalls, in dem
das, was Maschine war, im Übergang zur Ruine absolut auratische
Qualitäten akquiriert. Bleche, Schrauben, Drähte, Kabel, Gewinde:
dies ist eine Technik, die überaus material inszeniert wird; Seilzüge,
Tragwerke, Schienen, Rohre, Leitungen: als Verbundsystem ist die Stadt Zion
aus demselben Stoff gemacht wie die Vehikel ihrer Flotte, aber noch
ungeschlachter, noch massiver; neben den makellos designten Oberflächen
der Matrix etwas wie Rohbau par excellence.
Natürlich ist das Rohe das Echte, auch hier, wo die Stadt im
Innern der Erde von einer archaischen Gesellschaft bewohnt wird. Fackeln,
Versammlungshallen, ein hoher Rat, Krieger und Weise, Visi-onäre und
Verräter: So ähnlich, wie der Film der Wachowskis seinen
Vorgängern im Genre des SciFi in Fragen der Ausstattung ist, ist er
es in denen des politischen Designs. Alle (fast alle) Filme, die sich mit
den Zivilisationen der Zukunft befassen, teilen diese seltsame Vorliebe für
die Verbindung von High Tech und Priesterstäben, Space Ships und Sackleinen,
fast alle lieben das Primitive, das sich mit hocheffizienten Apparaturen
umgibt (Star Wars), oder kennen, Gegenmodell, die hochent-wickelte
Kultur, die marode Raumschiffe ins All schickt (Alien 1) oder interne
Störungen mit brachialer Gewalt beseitigt (Brazil). Wenigstens
eines von zwei Systemen (politisch, technisch) muss primitiv sein; dies eine
ungeschriebene Regel. Im Reload scheinen es beide irgendwie, selbst wenn
die Riten von Zion der letzten Mode angepasst sind.
Der letzten (oder vorletzten) Mode angepasst auch die Körper.
Schöne Körper, müde Körper, etwas verbraucht; man erinnert
sich an die Fotografie der frühen neunziger Jahre. Es gibt, in diesem
Film, der nach wie vor in seine Protagonisten verliebt ist, genug
Großaufnahmen, um die kleinen Unvoll-kommenheiten in den Gesichtern
ausführlich zu studieren. Falten, feine Linien: die Gefahren sind seit
den Einsätzen vor vier Jahren nicht weniger geworden; Augenringe: die
Helden sind erschöpft; Narben, Schrammen: sie haben gelitten, und werden,
bleiche, angespannte Gestalten, wieder leiden, ihr ganzes Erscheinungsbild
bezeugt es. Auch in Matrix Reloaded ist das Leben ein entbehrungsreiches
geblieben, der Dienst (Sonderkommando) ein harter, das Glück
(Königskinder) ein strenges und die Verletzlichkeit derer, die doch
die Welt retten sollen, noch augenfälliger als damals, selbst wenn ihnen
lange nicht so hart zugesetzt wird wie noch in Teil I.
Damals: Ein künstlicher Skorpion (Käfer?) kroch in einen
Bauchnabel, Kombattanten spuckten Blut, man brach Nasenbeine, und ständig
war irgend jemand dabei, furchtbare Schläge einzustecken. Blessuren
überall, dazu die Bilder der Plantagen mit den graurosa Leibern und
den schwarzen Tentakeln in Mund, Rückenmark und Öffnungen, an die
hier nicht erinnert werden soll. Im Reload reduziert sich das. Die Kämpfe
werden noch einmal schneller, die Sprünge höher und weiter, die
Verfolgungen wahnsinniger, aber wenn einer dabei zu Schaden kommt, sieht
man davon kaum mehr als eine Schramme im Gesicht oder am Arm. Nach wie vor
kann eine Konfrontation in der Matrix den Tod bedeuten, doch wählt Teil
II zu dessen Inszenierung andere Bilder.
Statt dessen entwickelt er den Kampf der Körper zu einem Kampf
der Prinzipien. Neo, im Original immer wieder als DER EINE, THE ONE, adressiert,
sieht sich bei seinem ersten Einsatz in der Matrix mit einem Wiedergänger
des Agenten Smith konfrontiert, der sich vor seinen Augen zu erst drei, dann
zehn, dann unzähligen Repliken vervielfältigt. Später (manche
Szenen in The Matrix bereiten auf dieses Phänomen vor) wird Smith
ubik erscheinen, ein unendlich verbreiteter Virus der Verein-heitlichung,
der aus ganz verschiedenen Gestalten ein und dieselbe macht und aus einer
einzigen eine Serie von Hundertschaften. Singularität versus Reproduktion,
das ist der erste Antagonismus des Films; der zweite lautet: Dezision versus
Determination, weshalb insbesondere in den letzten sechzig Minuten viel von
Entscheidung, Freiheit, Willen und Erkenntnis die Rede ist.
Hier wie in eigentlich allen Szenen gilt, dass Matrix Reloaded
immer dort verliert, wo irgend jemand den Mund aufmacht. Viel hohe
Töne, was in Teil I nicht anders war, wenig Lakonie, was neu ist:
Während The Matrix zu Mythen-, Kultur- und Filmgeschichte ein strikt
zitationelles Verhältnis pflegt, arbeitet das Sequel an der Konstruktion
eines Konzepts, das, teils heilsgeschichtlich, teils erkenntnistheoretisch
inspiriert, für die Geschichte der Matrix Revolutions wenig Gutes erwarten
lässt.
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