Mit seinem komplexen Polit-Thriller
JSA (Joint Security Area) war dem
südkoreanischen Regisseur Park Chan-wook vor zwei Jahren nicht nur,
bei besten Kritiken, der größte Box-Office-Erfolg der Kinogeschichte
in seiner Heimat gelungen, der Film lief auch - wenngleich ohne große
Resonanz - im Wettbewerb der Berlinale und erhielt hervorragende Kritiken
bei seiner Kinoauswertung in Deutschland. Um den emotionalen Kern einer streng
verbotenen Freundschaft zwischen je zwei nord- und südkoreanischen
Grenzposten herum baute Park einen verschachtelten Krimi mit
Rashomon-Anklängen. Dem Genre gemäß gab es eine Bewegung
in Richtung Aufklärung des "Falles" - die aber führte ganz unerwartet
nur immer rettungsloser zum kompletten Scheitern aller Beteiligten. Nach
dem riesigen Erfolg seines Films hatte Park carte blanche für
sein nächstes Projekt und verfilmte mit zwei der Hauptdarsteller aus
JSA, aber nun ohne alle Rücksicht auf Verluste, ein Skript, für
das er einst - seine beiden ersten Filme waren kommerzielle Flops gewesen
- keine Geldgeber gefunden hatte. Sympathy For Mr. Vengeance ist
deutlicher als JSA ein Genre-Werk, aber ohne das mindeste
Zugeständnis ans Publikum. Vorbilder sind hier düstere Noir-Autoren
wie Jim Thompson oder Derek Raymond, die ihre Geschichten von verzweifelten
Personen in aussichtlsosen Lagen in einer gottverlassenen Welt im Pulp-,
jedenfalls Genre-Format erzählt haben. Diesen Einflüssen folgend,
vermeidet Park jede Emotion, verweigert die Identifikation mit den Figuren,
kompromisslos führt er eine Geschichte, die finster beginnt, immer tiefer
hinein in Verstrickungen, aus denen sich keiner der Beteiligten mehr befreien
kann.
Am Anfang steht Ryus Wunsch zur guten Tat. Seine Schwester ist schwer
nierenkrank, er - taub und stumm von Geburt - schuftet in einer Fabrik, um
das Geld für eine Spenderniere zusammenzubekommen. Er wird entlassen,
ein wenig freundliches Bild des Kapitalismus im Niedergang zeichnet der Film
wie nebenbei. In seiner Verzweiflung lässt Ryu sich ein auf illegalen
Organhandel, verliert dabei nicht nur sein Geld, sondern selbst eine Niere.
Angetrieben von seiner Freundin, die anarchistisch-kommunistische
Flugblätter verteilt, verfällt er auf die Idee einer Entführung.
Erst fassen sie die Tochter seines Chefs ins Auge, dann die eines anderen
Geschäftsmannes. Dabei läuft schief, was schief laufen kann, beinahe
jedenfalls. Das Geld zwar haben sie, das Mädchen aber ist tot, der Vater,
der sein Liebstes verloren hat, ist ihnen auf den Fersen. Park erzählt
das langsam, kommentarlos, in Einstellungen, die auf Distanz bleiben. Zwei
Männer begleiten Ryu für die illegale Operation hinaus aus der
Stadt ins obere Stockwerk einer unfertig herumstehenden Häuserruine.
Die Kamera hält als Halbtotale ins Gegenlicht und zeigt die schwarzen
Umrisse der Männer auf der frei liegenden Treppe, einmal und, einen
Stock höher, noch einmal. Das ist das Emblem des Blicks auf die Figuren.
Näher kommt man ihnen auch in Close Ups nicht, die Kälte
der Verhältnisse sitzt ihnen in den Gliedern und in den Mienen. Der
Showdown, das wundert nicht, findet statt im eiskalten Wasser (auch das Wasser
übrigens ein Leitmotiv).
Zur Dauer der Einstellungen kommt die Lust an der Fragmentierung der
Narration. Nicht an den Zusammenhängen scheint der Film interessiert,
sondern am isolierten Augenblick. Herausgearbeitet werden Momente der Gewalt,
die zugefügt wird, der Trauer, die kaum Ausdruck finden kann, über
Verluste. Bewusst werden die Abläufe verwirrt, kaum investiert Park
in die psychologische Plausibilisierung der Figuren. Es geht ihm ganz abstrakt
um das Elend, das den Verhältnissen, dem Zufall, auch der
Überwältigung durch die Trauer geschuldet ist. Ryu, der seine Schwester
verliert, Don-Jin, dem nach dem Tod seiner Tochter nichts mehr bleibt, sind
keine Unmenschen. Sie werden dazu. Auch dafür findet Park ein Sinnbild,
nein: ein Sinn-Geräusch - wie überhaupt Geräusche, kurze Momente
der Ausblendung des Tons, der sehr sparsame Einsatz dann aber höchst
disharmonischer Musik von großer Bedeutung sind. Zweimal sehen wir
Dong-Jin im Leichensaal. Beim ersten Mal hält die Kamera auf sein
tränenverschmiertes, schmerzverzerrtes Gesicht. Unter klar vernehmlichen
Säge- und Knackgeräuschen wird der Leichnam seiner Tochter
geöffnet. Beim zweiten Mal dieselbe Prozedur, diesmal aber der Körper
von Ryus Schwester. Starr und unbewegt die Miene Dong-Jins.
Park setzt auf Externalisierung des Innenlebens seiner Figuren. An
die Stelle des Mitgefühls tritt so der Blick auf massive Verletzungen
des Körpers. Die Verzweiflung eines gefeuerten Arbeiters findet ihren
Ausdruck in dessen Selbstverstümmelung: mit einem Teppichmesser versetzt
er sich Schnitte in den Bauch, das heraustretende Blut verlangt nicht nach
Deutung und produziert nicht Tränen des Mitgefühls. Es ist nicht
Symbol, sondern nüchtern betrachtete Anklage, ein Schrei der Verzweiflung
ohne jede Beimischung von Sentimentalität. Diese Zurichtung des
Körpers - als erste des Films - präfiguriert die Schnitte der
Obduktion. Statt Emotionen, könnte man sagen, produziert Park Schnitte
und Blut, mit aller Konsequenz. Die Wirkung ist - darin liegt ein gewaltiger
Unterschied zu manchem Splatter-Schlachtfest - niemals berauschend, sondern,
trotz des gelegentlich aufblitzenden schwarzen Humors, immer ernüchternd.
Zu schade nur, dass im letzten Viertel des Films die bis dahin ohne eigentliches
Zentrum in Fragmente geschnittene Geschichte in die Konvention eines Zweikampfs
zurückfällt. Ryu und Dong-Jin, Schicksalsgenossen, Todfeinde aus
nächster Nähe tödlicher Verwundung, Mr. Vengeance der eine
wie der andere, treten an zum letzten Gefecht. Das, und sonst kaum etwas
an diesem Film, hat man schon gesehen.
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