Der Tod lauert am hellichten Tag, man sieht ihn nicht, ganz wie
in Nanni Morettis Das
Zimmer meines Sohnes. Dort verliert eine Familie den Sohn, hier verliert
Marie ihren Mann. Scharf und klar sind die Bilder von der Fahrt in die Ferien,
die so scheinbar harmlos mit einem kurzen Aufenthalt auf einer
Autobahnraststätte beginnt (und doch kann keiner, der ihn kennt, umhin,
an George Sluizers Spurlos zu denken, den Film, in dem in genau derselben
Situation ein Mann seine Freundin verliert). Lichtdurchflutet ist die Landschaft
am Meer, Licht dringt in das Ferienhaus, als die Tür geöffnet wird.
Wenig wird gesprochen, alles aber wirkt noch harmlos genug, wie die Vertrautheit
nach 25 Jahren Ehe. Und doch liegt in der Kommentarlosigkeit dieser Bilder,
von denen man nicht ahnt, worauf sie hinaus wollen, jene thrillernahe
untergründige Drohung, die man bereits in Ozons meisterhaftem Kurzfilm
Regarde La Mer erlebt
hat.
Nachdem ihr Mann verschwunden ist, fährt Marie zurück nach
Paris, ein Schnitt und sie sitzt an einem Tisch mit Freunden und spricht
über Jean, als sei nichts passiert. Der Betrachter reibt sich die Augen,
denn der schnelle, ganz gewöhnliche Film-Schnitt kaschiert, ganz
offenkundig, den radikalen Schnitt zwischen der Verzweiflung und der
Verdrängung, die die Reaktion darauf ist. Zeit ist vergangen, mittlerweile
ist Winter, auch den Bildern sieht man das an (Ozon hat zwei verschiedene
Kamerafrauen eingesetzt, eine für den ersten kurzen Sommer- und eine
für den Winter-Teil; letzterer ist, aus finanziellen Gründen,
auf Super-16 gedreht): grau, körnig, verwaschen sind sie, nichts
strahlt mehr. Dieser Schnitt markiert vor allem Maries Verleugnung eines
solchen Schnitts: Nichts soll passiert sein, sie spricht von Jean, als lebte
er, ja, mehr noch: sie spricht mit Jean, sie sieht ihn, lebt mit ihm, kauft
ihm Krawatten. Die Kamera wird zum Komplizen von Maries Blick, zeigt das
Gespenst Jeans, das eine für Gespenster unübliche körperliche
Massivität hat. (Und hier kann, wer ihn kennt, nicht umhin, an Don DeLillos
- jedoch spezifisch anders akzentuierten - jüngsten Roman
Körperzeit zu denken).
Unter dem Sand erzählt von dem Widerwillen
Maries, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Oder, komplizierter: in
die Wirklichkeit, in der sie sich ganz selbstverständlich zu bewegen
scheint, von ihren Vorlesungen bis zum häufigen Besuch des Fitness-Centers,
die Tatsache des wahrscheinlichen Todes Jeans einzuarbeiten. Zu trauern.
Den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Marie wehrt jede Auseinandersetzung heftig
und entschieden ab. Vincent, der sie begehrt, will ihr helfen, wie ihre englische
Freundin, Marie weigert sich, beharrt auf ihrem Leben mit der Fiktion. Diese
Fiktion ist flexibel, da sie nicht auf der tatsächlichen Existenz
insistiert, der immer wieder erscheinende Jean ist mehr die Allegorie der
Unfähigkeit, Abschied zu nehmen. Dass er Marie und Vincent beim Sex
beobachtet, ist noch nicht das Problem. Erst als Vincent fordert, Marie
müsse über Jeans Tod hinweg kommen, beendet sie die Affäre.
Alle Trauerarbeit bleibt seltsam verschoben: Marie entdeckt im
Badezimmerschränkchen ihres Mannes Medikamente gegen Depressionen, von
denen sie nichts geahnt hat. Sie macht sich Sorgen.
Ein bizarrer Höhepunkt ist die Begegnung Maries mit der greisen
Mutter Jeans in einem Altenheim. Ein merkwürdiger Kampf um den Mann,
eine verblüffende Verkehrung der Positionen. Marie überzeugt ihre
Schwiegermutter davon, dass Jean tot ist, muss sich dafür anhören,
er habe sich umgebracht, weil sie ihn zu Tode gelangweilt habe. Wir wissen
nicht, was wir davon halten sollen. Der Film gibt einem keinen Anhaltspunkt.
Maries Heilung scheint eingesetzt zu haben, scheint sich fortzusetzen: sie
fährt zurück ans Meer, sieht sich die Leiche an, die an Land
gespült worden ist (ein Blick, den Ozon dem Zuschauer nicht zumutet).
Doch, zuletzt, wehrt sich Marie erneut, akzeptiert die massiven Indizien
nicht. Enigmatisches Schlussbild: Sie ist wieder am Strand, erblickt eine
Gestalt in der Ferne. Sie lacht, läuft darauf zu. Vielleicht aber, die
Perspektive ist nicht eindeutig, auch daran vorbei. Was hat sie gesehen?
Wir wissen es nicht, der Film blendet ab.
zur Jump Cut Startseite |