Joe Ma Wai-ho, 2. Teil
Betrachtung und sämtliche Interviewpassagen von
-MAERZ- (Axel Estein)
Der seit der Ende 01 wieder aufgeflammte Comedy-Boom nimmt einen
ähnlich bedeutenden Stellenwert für das HK-Kino ein wie jene Phasen
deutlich verstärkter Komödienproduktion in den frühen 80ern
(die Action- und Großstadtkomödien des Cinema City Studios), in
den mittleren bis späten 80er (Golden Harvest- und D&B-Komödien)
oder zu Beginn der 90er (historische Kostümkomödien Slapstik aller
Couleur in Mo Lei Tau-Manier [wörtlich übersetzt bedeutet Mo Lei
Tau "von nirgendwo her kommend" oder "unbekannten Ursprungs" und meint in
der blumig-umschreibenden Umgangssprache der Südchinesen "Nonsens",
"Quatsch", "Blödsinn"]). So entsteht in Zusammenarbeit mit dem Koregisseur
Albert Mak Kai-kwong die romantische Screwball-Comedy DUMMY MUMMY, WITHOUT
A BABY (01), mit der Ma sich definitiv auf der Höhe der Zeit
befindet.
Ma über seine Entscheidung, gemeinsam mit Albert Mak Regie zu
führen: "Seit Jahren bemühe ich mich darum, jungen Regisseuren
auf die Beine zu helfen. (Albert) Mak Kai-kwong hat gezeigt, daß er
selbständig Regie führen kann. Während ich noch mit FUNERAL
MARCH beschäftigt war, war er schon mit der Preproduction von DUMMY
MUMMY beschäftigt. Er hat mit einigen Autoren das Drehbuch
überarbeitet und mit den Dreharbeiten begonnen. Nach einigen Tagen schien
mir allerdings, ich sollte Mak etwas unter die Arme greifen. Ich hatte sein
Selbstvertrauen wohl überschätzt und ihm zuviel zugemutet. Ich
machte ihm daher das Angebot, an dem Film gemeinsam weiterzuarbeiten, sobald
ich FUNERAL MARCH beendet hätte. Das kam ihm, glaube ich, sehr gelegen.
Dadurch haben wir das Projekt gerettet. DUMMY MUMMY ist der zweite Film meiner
Firma mit Miriam Yeung (Tsin-wah). Wir haben uns einem gehörigen Druck
ausgesetzt, weil Miriam mit diesem Film ein großes Publikum ansprechen
sollte. Er mußte also unbedingt ein Erfolg werden. Deshalb haben wir
gemeinsam Regie geführt. Der Flow ist nicht ganz so gleichmäßig,
wie ich es gerne hätte, es gibt ein paar Brüche und einiges paßt
nicht 100prozentig zusammen. Schließlich haben wir aber doch unser
Ziel erreicht.
Miriam Yeung & Chor Yuen in DUMMY MUMMY |
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Mas Ausgangspunkt für diese Komödie ist das in HK nur
in Ansätzen vorhandene Arbeitsrecht, das aber Schutz für werdende
Mütter vorsieht. Eine Scheinschwangerschaft könnte einer Frauen
im rezessionsgeplagten HK also zumindest bis zur vermeintlichen Niederkunft
den Arbeitplatz sichern und vielleicht sogar zu beruflichem Erfolg führen,
selbst wenn der Schwindel schließlich platzen muß wie eine volle
Fruchtblase. - Aber das kann natürlich nur funktionieren, wenn man
gleichzeitig so clever und liebenswert und so mainstream-kompatibel ist wie
die Hauptdarstellerin Miriam Yeung, die ihr Image und Auftreten nur zu deutlich
auf das des Superstars Sammi Cheng Sau-man (filmischer Senkrechtstarter des
Vorjahres, Everybodys Darling) zurechtknetet - nicht gerade ein
originelles, dafür aber ein sehr erfolgreiches Mimikry. |
Trotzdem ist Yeung spätestens nach dieser harmlos-pflegeleichten
und zu schwachbrüstig-unchaotischen Romcom die Aufsteigerin des Jahres.
Joe Ma über den speziellen Miriam-Appeal und arbeitsrechtliche
Sensibilisierungen seiner Zuschauer: "Ich glaube, der Erfolg von DUMMY MUMMY
ist hauptsächlich Miriam Yeung zu verdanken. Sie ist der Typ der
großen Schwester. Viele können sich mit ihr identifizieren. Publikum
dieses Films bestand vor allem aus jungen Frauen. Die hat besonders die Story
angesprochen. In Hong Kong gibt es so gut wie keine Arbeitnehmervertretung,
und deshalb ist Kündigungsschutz hier auch so gut wie unbekannt. Heuern
und feuern ist das Gesetz. Davon ausgenommen sind nur Schwangere, sie sind
vom Gesetz geschützt und dürfen nicht entlassen werden. Für
viele Büroangestellte ist das in einer Zeit anhaltender wirtschftlicher
Verschlechterung die Erfüllung ihrer Träume: ein sicherer Job und
ein Kind bekommen. Sie erkennen, daß es im Berufsleben auch seine guten
Seiten haben kann, eine Frau zu sein, und daß es sie ihren männlichen
Kollegen in manchen Punkten sogar überlegen macht.
Die Häufung von Filmen, in denen Ma sich in der einen oder der
andern Form mit der angespannten Lage am HKer Arbeitsmark und Jobproblemen
auseinandersetzt, ist für einen reinen Kommerzfilmer wie ihn
auffällig. Bloßer Zufall? Ist es vielleicht eine taktisches
Kalkül, das ihn auf diesen Themen bringt, weil in HK, dadurch, daß
zur Zeit eigentlich alle davon betroffen sind, die Zahl potentieller Zuschauer
besonders groß ist? Oder verfolgt er tatsächlich ein soziales
Anliegen?
Wie so oft, wenn man von Filmleuten aus HK eine konkrete politische
oder soziale Stellungnahme bekommen möchte, bleibt die Aussage schwammig.
Ma bildet dabei keine Ausnahme: "Mein Interesse ist sicher kein Zufall. Ich
kann aber nicht sagen, daß ich die Auseinandersetzung mit Jobproblemen
bewußt geplant hätte. Möglicherweise beschäftigen mich
diesen Fragen unbewußt. DUMMY MUMMY basiert auf einer Geschichte, die
mir eine Bekannte erzählte. Sie war sehr unzufrieden mit einer ihrer
Kolleginnen. Eines Tages erfuhr sie von deren Schwangerschaft. Dadurch war
es für die Firma unmöglich geworden, sie zu entlassen. Meine Bekannte
war sehr ungehalten: noch mindestens ein weiteres Dreivierteljahr würde
sie mit der unzuverlässigen Kollegin zusammenarbeiten müssen. Ich
weiß nicht, wie das anderswo ist. Für Hong Kong ist das im Moment
jedenfalls eine ganz typische Situation. Die Leute reagieren total gereizt
und nervös, wenn es um ihre Jobs geht. Viele verlieren ihre Jobs. Ich
habe von offenen Stellen gehört, auf die sich tausend Leute beworben
haben. Zur Zeit gehört das zu unserem Leben. Mit meinen Filmen erzähle
ich davon.
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Wie von einem Film dieser Art nicht anders zu erwarten, lebt
DUMMY MUMMY von den extremen Zuspitzungen der Situationen, die sich schneller
entwickeln als die Protagonisten reagieren können, von seiner sich
beschleunigenden Situations-Erosion, vom Zerfall der Handlungsoptionen eines
Hauptakteurs und wie dieser (Miriam Yeung) trotz aller Widrigkeiten und gegen
jede Wahrscheinlichkeit es schafft, den Kopf bis zum unvermeidlichen,
großen Chaos-Clash aus der Schlinge zu halten, zu guter Letzt aber
als Sympathieträger wieder die operative Oberhand erlangt:
Happyend! |
Seinen Schwung gewinnt DUMMY MUMMY auch durch das Mehrwissen der
Zuschauer, denen sehr schnell klar ist, daß das Blendwerk über
kurz oder lang zusammenbrechen wird. Zu einem nicht unbeträchtlichen
Teil besteht hierin der speziell Reiz dieser Joe Ma-Komödie. Durch sein
Zusatzwissen kann der Zuschauer mit einiger Gewißheit darauf
schließen, was als nächstes passieren wird. Im Gegensatz zu ihm,
liegen die Protagonisten in ihrem Verständnis der Zusammenhänge
fast immer einen oder mehrere Schritte hinter der Gesamtentwicklung zurück
und werden ständig in die Offensive gedrängt. Während dem
Zuschauer also genügend Zeit zur Analyse bleibt und verschiedene
Möglichkeiten durchspielen kann, um sich dann für eine seiner Meinung
nach adäquate Alternative zu entscheiden, sind die Handlungsträger
zur spontanen Improvisation gezwungen und werden permanent Opfer der beliebten
Überkreuzverwechslungen.
Das funktionale Timing dieser Komponenten untereinander, das Spiel
über die Metaebene beherrscht Ma natürlich wie im Schlaf und so
souverän, daß dem Zuschauer das Spiel zwischen Text und Subtext
gar nicht auffällt, es ihm grundsätzlich auch nicht bewußt
sein muß, um Gefallen an diesem vor allem schnellen Film zu finden.
Andererseits macht Ma es dem Zuschauer hierdurch nicht einfach, in DUMMY
MUMMY etwas anderes als eine flache Screwball-Comedy, ohne relevanten
gesellschaftlichen Kommentar zu sehen. Der ist sicherlich vorhanden,
beschränkt sich aber auf die Grundidee der mit dem Baby-Fake verbundenen
Vorteile. Deshalb ändert sich auch nichts an der Tatsache, daß
versäumt wurde, nachdem der Schub der ersten turbulenten Gag-Zündstufe
verpufft ist, für die zweite Hälfte des Films einen ebenso
leistungsstarken Antrieb zu finden. Den Babyschwindel so zahm und unkontrovers
wie irgend möglich sich in heiteres Wohlgefallen auflösen zu lassen,
ist jedenfalls nicht die richtige Lösung.
Ein netter kleiner Nebenaspekt von DUMMY MUMMY ist der Kurzauftritt
des Regiealtmeisters Chor Yuen, dessen Komödie YOUNG, PREGNANT AND UNMARRIED
(68) den selben chinesischen Originaltitel trägt wie Mas Film.
Ma dazu: "Es ist eine kleine Hommage an Chor Yuens Film. Ich mag sein Filme
sehr, besonders diesen: gutes Casting, gute Story, gutes Tempo. Als ich
ungefähr zehn war, haben ich ihn zum erstenmal im Fernsehen gesehen.
Inzwischen habe ich ihn bestimmt schon zwanzig mal gesehen. Unsere Filme
tragen den selben chinesischen Titel, aber die Stories unterscheiden sich
völlig. Chor Yuens Film ist eine Familien-Sitcom. Bei ihm geht es um
die Stellung von Mädchen und jungen Frauen in der Familie. Der Background
meines Films ist ein anderer: Frauen in der Berufswelt. Bei mir geht es um
Jobs.
Fortsetzung (3. und letzter
Teil) |