Tag 1
(eigentlich Tag 3 des Festivals, aber 8 Tage mussten leider
reichen)
Music Video Director in Focus: Michel Gondry
Fantastische Compilation des vor allem mit seinen sechs Björk
Videos (Human Behavior, Army of Me, Bachlorette, Yoga, Hyber Ballad und
Isobel) bekannt gewordenen Videokünstlers. Gondry´s Clips sind
geschlossene kleine Traumwelten, in denen sich immer wieder neue Türen
öffnen, dabei die Protagonisten aber immer wieder zurückwerfen
bzw. in ewig variierenden Wiederholungen gefangen halten. Hierfür verwendet
er meist aufwendige Computereffekte, die Bilder begehbar werden lassen bzw.
einfrieren. Für den Rolling Stone Clip Like a Rolling Stone erfand
Gondry ,die später in MATRIX eindrucksvolle Verwendung findende,
eingefrorene Explosion, die von der Kamera umkreist, also quasi begangen
werden kann. Durch die hier gezeigte Zusammenstellung wurde deutlich wie
geradezu obsessiv Gondry sein Thema der angestrebten totalen Bildkontrolle
und die damit verbundene Aufhebung alles Fassbaren mit so unterschiedlichen
Künstlern wie Massive Attack, Beck, Chemical Brothers u.a. konsequent
auf die Spitze zu treiben versteht. Gespannt schaut man daraufhin seinem
(in Rotterdam leider nicht gezeigten) Kinodebüt HUMAN NATURE entgegen,
welches auf einem Skript des BEING JOHN MALKOVIC-Autors Charlie Kaufmann
beruht.
The French New Wave
Ebenfalls eine Music Clip-Compilation, die den Focus auf die in den
letzten Jahren so erfolgreiche New French House-Bewegung richtet. Hier wird
viel mit Typographie und Collagetechniken gespielt. Am eindrucksvollsten
vielleicht in Alex Gophers charmanten The Child oder dem Cassius Clip
99 von Alex & Martin, in welchem sich ein rotgekleideter Superheld durch
60er Jahre-Trash-Collagen boxt.
h` artCORE (Deutschland 2001 / Regie: Aguirre
Morgenstern)
Mitternachtsvorführung
unter Anwesenheit des Regisseurs, der wahre Höllenqualen zu durchstehen
schien und trotz des vereinzelten Zuspruchs am Ende am liebsten das Weite
gesucht hätte. War aber auch irgendwie verständlich, zeigt der
Film doch nichts weiter als ihn selbst mit seiner Freundin beim Liebesakt.
Die Erzählstruktur schien dabei dem Muster gängiger Hardcore-Ware
zu entsprechen, so beginnt der Film mit einer ca. 15 minütigen Einstellung
des Schwanzes von Herrn Morgenstern, an dem (mir erschien es eher lustlos)
ausdauernd gelutscht wird. Der künstlerische Ansatz vermittelt sich
dabei vor allem durch verfremdende Zeitlupeneffekte, eine schattenhafte
Bildauflösung sowie das stetige Elektrogrollen auf der Tonspur. Ein
gleichsam mutiger wie ermüdender Film, der sich thematisch als Vorbote
für die anderen europäischen Filme dieses Festivals erweisen
sollte.
Tag 2:
Le Pornographe (Frankreich, Kanada 2001 / Regie: Bertrand
Bonello)
Die Franzosen scheinen gerade eine besonders große Freude bei
der Demontage ihrer Alt-68er zu empfinden, wobei die hier gezeigten
Selbstentblößungen eines alternden Hardcore-Regisseurs mit
künstlerischen Hippieidealen nie ganz deutlich werden lassen ob dies
nicht vielleicht sogar unfreiwillig geschieh. Gespielt wird dieser vertrottelte
Alt-Intellektuelle von dem großen Godard- und Nouvelle Vague-Helden
Jean-Pierre Léaud mit ganz großen Wim Wenders-haften Hippiegesten.
Seit dem großartigen IRMA VEP wurden die ehemaligen Helden des
französischen Autorenkinos nicht mehr derart der Lächerlichkeit
preisgegeben. Beinahe schon ein Klassiker ist die Szene, in welcher der Regisseur
seine Hauptdarstellerin dazu überredet den Samen ihres Partners zu
schlucken, um damit ihrer Liebe Ausdruck zu verleihen. Oder gar die
köstliche politische Episode mit seinem Sohn, der sich aus Protest gegen
die unreflektierte, globale Medienkommunikation einer Bewegung an seiner
Universität anschließt, die ihrem Protest mit einem
Schweigegelübde Ausdruck zu verleihen sucht.
Einer der lustigsten Filme dieses Festivals, der wie nahezu jeder
andere hier gesehene europäische Film, in den Sexszenen, dem aktuellen
Hardcoretrend folgend alles zeigt.
From Hell (USA 2001 / Regie: Albert & Allen Hughes)
Vielleicht der einzige Film des Festivals, den man als große
Big Budget-Hollywoodproduktion bezeichnet kann. Die düstere, visuell
ungemein beeindruckende Jack the Ripper-Adaption der Hughes-Brüder
überrascht jedoch vor allem bei der Darstellung von Armut und
Ausweglosigkeit durch beinharte Konsequenz. Johnny Depp, der hier Drogen
einwerfen darf wie seit FEAR & LOATHING IN LAS VEGAS nicht mehr. An seine
Seite haben die mit MENACE II SOCIETY bekannt gewordenen Brüder durch
die Bank interessante Nebendarsteller aufgefahren. Allen voran Ian Holm macht
als schwarzäugiger Chirurg mal wieder eine gute Figur (wo spielt der
den gerade überhaupt nicht mit?).
Music Video Director in Focus: Spike Jonze
Hier
bekam man endlich einmal die Gelegenheit die zahlreichen Arbeiten dieses
Allroundtalents in gebündelter Form sehen zu können, wobei man
wohl endgültig nicht mehr umhin kommt ihn als einen der vielschichtigsten
und talentiertesten Filmemacher unseres Jahrzehnts zu würdigen. Der
Mann scheint einfach alles zu können, egal ob er mit smoother
Scorssese-Kamera dem tanzenden Christopher Walken durch eine Hotellobby folgt
(Fatboy Slim/Weapon of Choice), Björk ihr Musicaldebüt ermöglicht
(It´s oh so quiet), perfekte End-Siebziger-Actionfilmpersiflage zelebriert
(Sabotage von den Beastie Boys) oder nur mit einer Videokamera bewaffnet
Dogmaprinzipien mit Leben füllt (Praise You/Rockafella), natürlich
vor den Jungs in Dänemark.
Bei Spike Jonze scheint sich viel aus einer jungenhaften Begeisterung
zu entwickeln, wie sie sich auch durch die von ihm co-produzierte MTV-Serie
Jackass zieht. Nach BEING JOHN MALKOVICH darf man um so gespannter sein,
in welche neuen Richtungen er sich hinbewegen wird.
Zur Being-John-Malkovich-Kritik bei Jump
Cut
Eintrag Spike
Jonze im Auteur-Lexikon
Time Code Remix (USA 2001 / Regie: Mike Figgis)
Was im Vorfeld wie ein mäßig interessanter Pflichttermin
erschien, entpuppte sich im nachhinein als eine der packendsten und
interessantesten Erfahrungen auf diesem Festival. Figgis erzählt seinen
Film in vier 90 minütigen (Video-)Kameraeinstellung ohne einen Schnitt.
Die Leinwand fungiert als vierteiliger Splitscreen, so dass die Geschichte
auf simultan ablaufenden Bildebenen erzählt werden kann, indem mal die
eine Erzählebene, mal die andere, über die Steuerung des Tons
hervorgehoben wird. Dies fand in Rotterdam live statt, sprich: Mike Figgis
himself saß vor der Leinwand an einem Mischpult und mixte den Ton und
spielte auch manchmal mitgebrachte Musik ein. Was sich jetzt vielleicht eher
anstrengend und experimentell anhört, erwies sich nach einer kurzen
Eingewöhnungsphase als wunderbar stimmiges, in höchstem Maße
unterhaltsames Erlebnis. Neben den herausragenden Schauspielleistungen von
Stellan Skarsgård, Jeanne Tripplehorn, Holly Hunter, Julian Sands,
Kyle MacLachlan und sogar Salma Hayek, versteht Figgis es auf das perfekteste
Komik und Drama miteinander zu verknüpfen. Als Zuschauer hat man bei
dieser Anordnung natürlich, sehr viel stärker noch als beim
konventionellen Erzählkino, die Möglichkeit seinen eigenen visuellen
Remix herzustellen. Auf die DVD, bei welcher es möglich sein wird auch
die verschiedenen auditiven Erzählebenen zu steuern, darf man gespannt
sein.
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