Filmkritik Bollywood and Beyond - Erstes indisches Filmfestival Stuttgart-Ludwigsburg

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Bollywood and Beyond - Erstes indisches Filmfestival Stuttgart-Ludwigsburg

 

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Bollywood and Beyond - Erstes indisches Filmfestival Stuttgart-Ludwigsburg
Bericht v
on Ekkehard Knörer

 [Image]
Rahul Bose and Konkona Sen in Mr & Mrs Iyer

Anders als das vor ein paar Jahren von Enthusiasten ins Leben gerufene deutsche Japanfilmfestival Nippon Connection in Frankfurt (Main) scheint "Bollywood and Beyond", das erste Festival des indischen Films auf deutschem Boden, eher auf Initiative verschiedener Lobbygruppen entstanden. Mumbai, das bedeutendste, wenngleich keineswegs einzige Zentrum der indischen Filmindustrie, ist die Partnerstadt von Stuttgart. Man verspricht sich in Schwaben, das wird in einem der sehr vielen Grußworte des an Informationen zu Filmen und FilmemacherInnen eher knappen Programmhefts ganz klar ausgesprochen, dass die Inder am schwäbischen Exotismus Geschmack finden wie sie an der exotischen Schweiz Gefallen gefunden haben.

Schön anzusehen ist das Programmheft, da steckt Geld dahinter. Überhaupt ist der Anstrich - deutlich anders als bei Nippon Connection in den ersten Jahren - deutlich professionell. Die Texte sind trotzdem oft zum Steinerweichen, auch die Einführungen zu den Filmen lassen oft sehr zu wünschen übrig; ein paar aus dem Internet zusammengeklaubte Informationen, bestenfalls, das musste oft reichen - für ein Publikum, das sich einem weithin noch unbekannten Phänomen gegenübersieht, ist das weniger als nicht genug. Die Ausnahme ist Dorothee Wenner, die beste Kennerin des Fachs, Bollywood-Beauftragte auch des Internatioalen Forums der Berlinale. Wenner hat dann auch einen der Tea Talks - den einzigen zum Thema Bollywood und indischer Film im engeren Sinne - im Alleingang gerettet, nachdem ihre Podiums-Mitstreiter entweder gar nichts oder deutlich uninformierten Unsinn geredet haben. Wenner wies, wie schon in einem taz-Artikel vor ein paar Wochen, auf die Gefahr hin, der sich das Bollywoodkino als Unterhaltung nicht nur für die ganze Familie, sondern auch für alle Gesellschaftsschichten derzeit ausgesetzt sieht. Der Boom der teuren Multiplexe wird vermutlich mindestens für eine Aufspaltung des Publikums sorgen - und dürfte über die kommerzielle Veränderung auch zum Wandel der Ästhetik führen. Erste Spuren dieses Wandels sind bereits zu beobachten, in durchaus aufregenden Werken, wie etwa dem dieses Jahr bereits auf der Berlinale und jetzt auch in Stuttgart gezeigten Maqbool, einer Unterweltvariante von Macbeth, die genau im Grenzbereich zwischen Mainstream und Arthouse siedelt - ein Grenzgebiet, das so im indischen Kino überhaupt nicht existiert hat. Sollte die Sache schief laufen, sollten die Multiplexe in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für den Tod der riesigen Massenkinos sorgen, dann wäre allerdings die Filmindustrie insgesamt in ihrem Bestand bedroht.

Trotz mancher Organisationspannen und Fehl- und Spätinformationen an die Presse konnte das Festival auf einem nicht unwichtigen Gebiet sehr überzeugen: bei der Auswahl der Filme. Dem im Titel - "Bollywood and beyond" - markierten Anspruch auf eine über die Hindi-Filmindustrie hinausreichende Repräsentation des indischen Filmschaffens wurde die Programmierung eindrucksvoll gerecht. So waren sowohl die sogenannten Regionalkinoindustrien vertreten - Tamil Nadu mit der arg harmlosen und Bollywood-Star-gespickten "Sinn-und-Sinnlichkeit"- Verfilmung "Kondukondain Kondukondain" und mehreren Mani-Ratnam-Werken - als auch ein Bereich zwischen Kunstfilm und Arthouse, der sich vom Übervater Satyajit Ray längst emanzipiert hat.

Am weitesten beyond war wohl der Film "Karunam (Pathos)" des aus Kerala stammenden Filmemachers Jayaraaj Rajasekharan Nair, der in spröder, aber sehr berührender Sparsamkeit eine Geschichte erzählt, die von ferne an Yasujiro Ozus "Tokyo Story" erinnert: ein greises Elternpaar hofft auf den Besuch seiner in den USA lebenden Kinder. Die aber besuchen lieber die Niagara-Fälle, verkaufen den Eltern das Haus unter dem Hintern und schicken sie ins Altersheim. Der Film überzeugt durch Langsamkeit und genaueste Beobachtung sowohl der kleinen Gesten der Liebe als auch der Selbstaufgabe des Mannes, der die Kraft, noch einmal neu anzufangen, nicht besitzt. Der Film ist mit Laien besetzt - nicht zuletzt das verleiht ihm seine Würde und wirkt allem Sentiment entgegen.

Ein anderer Fall ist Sadashivam Raos Film "Sanyogita", im Verlauf von vier Jahren mit minimalem Budget auf 16mm in der Wüste von Radschastan gedreht: eine Emanzipationsgeschichte, die sich weit weniger vom Bollywood-Format entfernt als "Karunam": es gibt wilde Schießereien und gewagte Kameraeinstellungen. Übers prüde Bollywood hinaus schießen aber ein Besuch im Bordell und die Selbstbefriedigungsszenen Sanyogitas, der Braut, die ihren Mann zuletzt hoch zu Kamel verlässt, hinein in die Wüste. Das schwankt zwischen Drama und Räuberpistole - macht aber beinahe so viel Spaß wie ein etwas gewagter Spaghetti-Western.

An aufwendigerem Sozialkino gab es den pakistanische Geschichte aufarbeitenden Locarno-Gewinner "Silent Waters", die Berlinale-Filme "Hava Aney Dey" und "Mondo Meyer Upakhan" - vor allem aber Aparna Sens umwerfenden "Mr. And Mrs. Iyer". Die Regisseurin erzählt mit Sinn fürs Detail sowie im liberalen Umgang mit üblichen Dramaturgie-Vorschriften von einem Mann und einer Frau, die in mörderische Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems geraten. Die Frau, eine strenge tamilische Hinduistin, rettet dem Mann, einem Moslem des Leben, indem sie vorgibt, er sei ihr Ehemann. Diese Behauptung gewinnt, einmal in die Welt gesetzt, eine gewisse Eigendynamik - und die Verschlingung von privater Annäherung und politischen Wirren gelingt Aparna Sen abseits der zu erwartenden Klischees. Etwas anders liegt der Fall beim jüngsten Beispiel für Mani Ratnams politische Ambitionen im populären Format. Das Private gelangt in "Kaanathil Muthamittal" selten über den Status des Illustrationsmaterials für ein sri-lankesisches Drama hinaus. (Vgl. die ausführliche Kritik.)

Abgerundet wurde das Programm durch Klassiker wie Rays "Pather Panchali" und Guru Dutts "Kagaaz Ke Phool", durch Blockbuster wie "Lagaan", "Company" oder "Kal Ho Naa Ho" und das reichlich abgeschmackte zweite Spielfilmwerk "Meenaxi" des Künstlers Maqbool Fida Husain. Ausrutscher wie dieses Machwerk, das nicht mehr ist als eine gänzlich weltlose Altmännerfantasie, blieben aber ausgesprochen selten. Mit der Programmierung setzt das Festival Maßstäbe für die geplanten weiteren Ausgaben - beim Thema Kompetenz in Text und Auftreten bleibt noch Luft nach oben.

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