Die Kinosituation in Würzburg ist für eine Stadt dieser
Größe weder besonders gut noch besonders schlecht. Der Mainstream
hat in den letzten Jahren gleich zwei neue Cineplex-Heimstätten gefunden,
verschwunden ist das einzige Filmkunstkino City, wenn auch nicht ganz: das
Corso-Kino, seit vielen Jahren Hauptspielort des Filmwochenendes, hat ihm
Unterschlupf gewährt. Ebenso zeigt die örtliche VHS im Cinemaxx
gelegentlich anspruchsvolle Filme und Klassiker. In einer Situation jedoch,
in der einige der besten Filme in Deutschland, wenn überhaupt, dann in
lächerlich geringer Kopienzahl (mal ein, mal zwei, mal drei Kopien)
ins Kino kommen, sind die kleineren Festivals für viele Kinogeher oftmals
die einzige Chance, Filme wie etwa die von Thomas Arslan je auf der Leinwand
zu sehen zu bekommen.
Daher sind kleine Werkschauen nicht unbekannter, aber
Multiplex-untauglicher Regisseure ein wichtiger Bestandteil des Würzburger
Filmwochenendes. Zum zweiten Mal nach 1994 war in diesem Jahr Rudolf
Thome eingeladen (in der aktuellen epd film findet sich passender Weise
ein
enthusiastisches
Porträt des Filmemachers) und stellte neben seinem neuesten Film
Venus.de auch die in den letzten Jahren entstandenen Filme Just
Married und Paradiso vor. Einer der interessantesten unter den
jungen deutschen Regisseuren ist Thomas Arslan, dessen Darsteller in seiner
in den letzten sechs
Jahren entstandenen Trilogie junge
Deutsch-Türken sind. In die Schublade, die Thematik anzudeuten scheint,
gehört Arslan jedoch nicht hinein. Sein ausgeprägtes Formbewusstsein,
die Strenge seiner Bilder, die Präzision seiner Dialoge lassen ihn als
Mitstreiter einer stark französisch beeinflussten Reihe junger deutscher
RegisseurInnen erkennen, zu der zuallererst auch Angela Schanelec gehört.
Geschwister/Kardesler, Arslans
Debüt, scheint dabei noch am ehesten auf Realismus zu setzen. Der Film
erzählt die Geschichte dreier Geschwister, Erol, der älteste, findet
sich in seinem Leben nicht zurecht, schiebt das auf seine Schwierigkeiten
als Deutsch-Türke und kompensiert es mit türkischem Patriotismus:
er wird, am Ende des Films, in ein Flugzeug steigen und den Militärdienst
in der Türkei antreten.
Dealer, der zweite Teil von Arslans
Trilogie, ist dann ein so klares wie überzeugendes Statement, dass sich
der Regisseur nicht über seine Themen, sondern über seine
Herangehensweise definieren will. In stilisierten, sichtlich komponierten
Einstellungen erzählt er vom Kleinkriminellen Can und seinen vergeblichen
Bemühungen, sich aus dem Schlamassel zu befreien, in dem er steckt.
In Der schöne Tag
ist das deutsch-türkische Kreuzberger Milieu noch weiter in den Hintergrund
gerückt - im direkten Zitat verweist Arslan auf Eric Rohmer als eines
der (oft genug im übrigen auch als realistisch missverstandenen) Vorbilder
seiner Kunst der Kinoerzählens.
Mehr als einen Besuch wert war auch die ins
Cinemaxx ausgelagerte Retrospektive, die sich in diesem Jahr auf die Filme
des großen Hollywood-Produzenten David O. Selznick konzentrierte.
Die Spannbreite reichte dabei von der flotten und bei allem Witz
(Drehbuch-Mitarbeit: Dorothy Parker) auch bitteren Hollywood-Selbstdarstellung
A Star is Born über Robert Siodmaks Horror-Meisterwerk
Die Wendeltreppe bis zu
Selznicks von der Kritik (nicht ganz zu Unrecht) in der Luft zerrissenem
Versuch, Vom Winde verweht an Pathos und Melodramatik noch zu
übertreffen, sein Western-Sex-and-Crime-Melodram
Duell in der Sonne.
Bedauerlich, aber die Interessen des Publikums vermutlich recht genau abbildend,
der überwiegend sehr schwache Besuch dieser Reihe. Ganz anders sah es
mit der Aufführung von Erich von Stroheims Stummfilm-Klassiker Foolish
Wives aus, die - live begleitet vom Kontraste-Ensemble für Neue
Musik und dem Komponisten des vor wenigen Jahren für eine Arte-Fassung
eingespielten Scores, Andras Hamary - zum Hauptereignis des Festivals wurde.
Ebenfalls immer gut besucht sind die Filme des Publikums-Wettbewerbs,
meist neuere Werke aus europäischer Produktion. Nicht immer hatte die
Auswahlkommission dabei in den letzten Jahren eine glückliche Hand,
es dominiert hier, wie freilich in den meisten Wettbewerben auch der
größeren und großen Festivals, der ambitionierte Mainstream.
Pascal Thomas, ein Veteran des französischen Kinos, der nach
langer Pause in den letzten Jahren zwei viel beachtete neue Filme drehte,
wurde mit seinem Film La Dilettante vorgestellt, einer Komödie,
die leider in seltsam steriler Atmosphäre unentschieden zwischen Realismus
und Groteske schwankt. Den Publikumspreis des Festivals gewann der norwegische
Auslandsoscarvorschlag Elling von Peter Naess.
Alles andere als gefälligen Mainstream
boten die ausnahmslos aus Japan stammenden Nachtfilme.
Audition, der sich,
spätestens wenn die so unschuldig scheinende Asami die Knochensäge
auspackt, zu einem schrecklichen Alptraum auswachsende Versuch eines
Mannes, eine neue Frau zu finden, hat bereits die Säle zahlreicher Festivals
leergefegt - und zugleich hymnische Kritiken geerntet. Nur unwesentlich leichter
erträglich ist das Spielfilmdebüt des Videofilmers
Higushinsky, der mit Uzumaki
eine erfolgreiche Manga-Vorlage als surreale Horror-Groteske verfilmt
hat. In ein heftiges Blitzgewitter stürzte dagegen Sogo Ishii,
der einst mit Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb auch
im Westen bekannt wurde, die bis weit nach Mitternacht ausharrenden Freunde
des japanischen Films mit seinem
Electric Dragon 80.000
Volt. Auch wenn einen der Film eher ratlos als begeistert
zurücklässt: es macht die Qualität des Würzburger
Filmfestivals aus, dass es seinem Publikum auch wenig verdauliche Kost dieser
Art anbietet.
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