Der ganz normale Wahnsinn
Schizophrenie und Todessehnsucht sind normalerweise Themen, die
im Mainstream-Kino nichts verloren haben. Doch dieses Jahr ist alles anders:
Während "A Beautiful Mind" mit Russell Crowe als heißer Oscar-Tip
gehandelt wird, beschäftigt sich ein neuer Film aus Deutschland ebenfalls
mit dem Sujet. Außerdem: Schauspieler Daniel Brühl zieht es nach
Hollywood, der Regisseur von "Scorpion King" wurde entmachtet und Anakin
spielt bald Theater.
Wie viel Wahrheit kann das Kinopublikum vertragen? Hans Weingartner,
ein 31 Jahre junger Österreicher, der in Kanada mal Kanuführer
war und Skilehrer in Voralberg, der in Wien Physik studierte und später
Neurochirurgie am Stegnitz-Klinikum Berlin - dieser Hans Weingartner lotet
mit seinem preisgekrönten Erstlingswerk "Das weiße Rauschen" (D-Start:
31.1.02) mit großer Raffinesse diese Grenze aus. Daniel Brühl
brilliert in dem auf Videomaterial gedrehten Film als junger Schizophrener,
dessen Krankheit nicht nur zur Selbstzerstörung führt, sondern
auch die Umwelt - Freunde, Familie und Kollegen - schwer belastet. Und diese
Umwelt, das sind wir: das Kinopublikum. Weingartner bezieht uns mit in die
Geschichte ein, macht uns zu Zeugen und Betroffenen. So ungeschminkt und
kompromisslos hat vor ihm noch niemand dieses heikle Thema angepackt.
Auszeichnungen sammelt längst auch die Hollywood-Version des
Themas: In Ron Howards Filmbiographie "A Beautiful Mind" (D-Start: 28.2.02)
verkörpert Russell Crowe den Mathematiker John Nash, dessen geniale
Theorien einerseits für den Nobelpreis reichten. Andererseits war Nash
Zeit seines Lebens ein Getriebener. Bis heute ist er schizophren: Sein Kopf
bildet sich Mitmenschen und Dinge ein, die es in Wirklichkeit nicht gibt.
Dass Howards Film - immerhin eine große Studioproduktion aus Hollywood
- sich den gängigen Klischees mutig entzieht, Nashs Krankheit
nachvollziehbar auf die Leinwand bringt und dabei trotzdem nicht das Publikum
verschreckt, ist zweifellos ein kleines Wunder. Dafür gab es bereits
vier Golden Globes - und Oscars werden folgen. Vor allem Russell Crowe gilt
als ganz heißer Kandidat für die Trophäe.
Hinter den Kulissen wird jedoch gekämpft, und das zum Teil mit
nicht ganz sauberen Methoden. Tatsächlich war (und ist) John Nash
nämlich nicht nur ein Schizophrener - seine Biographie bescheinigt dem
Genie auch bisexuelle Neigungen. Dass in Howards Film davon absolut nichts
zu sehen ist, sorgte bereits für einen mittleren Skandal. Lanciert haben
soll ihn jedoch die Konkurrenz von Miramax. Das von den Brüdern Harvey
und Bob Weinstein angeführte Studio gehört zum Disney-Konzern und
stellt meist einen Teil der für den Oscar nominierten Filme. Crowe kann
die Aufregung um die bewusste Auslassung jedoch nicht nachvollziehen:
"Natürlich haben wir uns gefragt, ob und wie weit wir diese Seite von
Nash zeigen sollen", erläuterte der 37 Jahre alte Schauspieler den
Sachverhalt. "Wir wollten aber niemanden auf den abwegigen Gedanken bringen,
Homosexualität und Schizophrenie könnten miteinander in Verbindung
stehen."
"The Scorpion King": Regisseur heimlich gefeuert
In Hollywood herrschen mitunter raue Sitten. So auch beim "Mumien"-Ableger
"The Scorpion King": Weil es mit Regisseur Chuck Russel offenbar nicht so
recht klappte, wurde er von den Produzenten still und leise abgesetzt. Die
Zügel hält nun Stephen Sommers höchst persönlich in der
Hand - der Regisseur der Superhits "Die Mumie" und "Die Mumie kehrt
zurück".
Der Coup wird offiziell geheim gehalten, um dem Projekt durch negative
Presse keinen Schaden zuzufügen. "The Scorpion King", in dem Wrestler
Dwayne Johnson alias "The Rock" die Titelrolle spielt, soll im April ins
Kino kommen. Zurzeit befindet sich der Film in der Effektbearbeitung.
Hollywood-Stars: alles Theater
Anakin Skywalker steht demnächst auf der Bühne: Hayden
Christensen (20), der zukünftige Teenie-Star der beiden nächsten
"Star Wars"-Filme, steht ab Ende Februar für voraussichtlich acht Wochen
am Londoner West End auf den Brettern. Auch Haydens 19-jährige Kollegin
Anna Paquin (Oscar für "Das Piano") übernimmt in Kenneth Lonergans
Stück "This Is Our Youth" eine der Hauptrollen.
In Deutschland ist der aus Vancouver stammende Schauspieler quasi
ein Unbekannter: Christensens Fernsehserie "Higher Ground" wurde bei uns
nie ausgestrahlt und sein aktueller Kinofilm "Life As a House" vom deutschen
Verleih auf Anfang Mai verschoben, um dann vom allgemeinen "Star Wars"-Fieber
zu profitieren. Dass Christensen jedoch nicht nur zum "Bravo"-Poster taugt,
hat er bereits unter Beweis gestellt. "Life As a House" brachte dem Jungstar
eine Golden-Globe-Nominierung als bester Nebendarsteller ein.
Auch am Broadway gaben sich zuletzt zahlreiche Stars aus Hollywood
die Klinke in die Hand: Bill Murray und Sigourney Weaver, Liam Neeson, Laura
Linney, Kathleen Turner, Chris O'Donnell, Kevin Bacon und Alicia Silverstone
sind nur ein paar von vielen großen Namen, die im Big Apple auf der
Bühne standen. Schuld daran waren ausnahmsweise nicht die
Terroranschläge vom 11. September, sondern der schwelende Schauspielerstreik
in Hollywood, der letztes Jahr nur mühsam abgewendet werden konnte.
Da von den Studios in der geplanten Streikperiode sicherheitshalber keine
Filmprojekte angeschoben wurden, hatten die Stars auf einmal Zeit für
Broadway-Eskapaden.
Ansehen/Wegsehen - 31.1.02
Ansehen: "Die Monster AG" - ein wunderbarer Trickfilmspaß für
Jung und Alt aus dem für seine Kreativität berühmten Hause
Pixar ("Toy Story"). Der turbulente Film stammt vollständig aus dem
Computer und wird mit "Shrek" um den neu eingeführten Oscar für
den besten Kinotrickfilm konkurrieren. Dabei hat "Shrek" die Nase zwar ein
Quäntchen vorn, was das Vergnügen an den liebenswerten Monstern
aus Monstropolis jedoch nicht mindert.
Durchstehen: "Das weiße Rauschen" ist ein Film, der eine Atempause
fordert, nachdem man ihn gesehen hat. Hans Weingartners Regiedebüt
über das Schicksal eines jungen Schizophrenen (Daniel Brühl) bringt
uns diese schreckliche Krankheit näher, als wir es eigentlich erleben
möchten. Der preisgekrönte Film wurde auf digitalem Videomaterial
gedreht, in der Postproduktion jedoch mit aufwändigen (und für
das Wesen der Geschichte essenziellen) Toneffekten aufbereitet. Das Ergebnis
ist eine Erfahrung, der sich gewiss nicht jeder Kinogänger stellen
möchte.
Wegsehen: "Im Fadenkreuz - Allein gegen alle" ist ein erzkonservatives
Kriegsspektakel mit den üblichen Klischees und holzschnittartigen Figuren.
Owen C. Wilson ("Zoolander") spielt einen Navy-Kampfpiloten, der über
Feindgebiet von Serben abgeschossen wird. Auf sich allein gestellt, muss
er den Häschern trotzen, die sich erbarmungslos an seine Fersen heften.
Gene Hackman macht dabei als Admiral wie üblich eine zackige Figur,
ist allerdings in David Mamets coolem Krimi "Heist", der zeitgleich mit "Im
Fadenkreuz" in unsere Kinos kommt, wesentlich besser aufgehoben.
Rico
Pfirstinger
copyright Rico Pfirstinger 2002
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