Krzysztof Kieslowski überlässt nichts dem Zufall. Die slices
of life, die zu Beginn unkommentiert aneinander geschnitten werden, sind
alles andere als das. Genauer: Sie sind mehr als das, überdeterminiert
durch das, was sie werden in der Geschichte, in den Geschichten, zu denen
sich dieser vom Fortgang bestimmte Beginn entfaltet. Was man sieht ist, um
Clemens Lugowski, einen Klassiker der Literaturwissenschaft zu zitieren,
vollständig "Motivierung von hinten" - und damit das gerade Gegenteil
von Zufall.
Es fragt sich also, ob dieser Film, "Der Zufall, möglicherweise" (aber
den Möglichkeitssinn fügt so explizit erst der deutsche Titel hinzu),
nicht ein von Beginn an paradoxes Unterfangen ist. Die Fäden straff
gespannt, fragt die Geschichte nach den blinden Zufällen des Schicksals
bzw. danach, ob beim scheinbar blinden Zufall nicht höhere Mächte
die Fäden in der Hand halten. Der Film simuliert ein Experiment und
alles ist unter Kontrolle. Wie eigentlich stets bei Kieslowski gibt es in
der Textur von Bild und Ton keinen Freiraum, gibt es keine Lücke, durch
die der Teufel einer wie auch immer zu begreifenden Wirklichkeit käme.
Film ist für Kieslowski morality play, philosophisch-theologischer
Traktat, der in Narration umgesetzt wird.
Was daran oft nicht, oder schwer, zu ertragen ist: die philosophische
Prätention, die Botschaftsförmigkeit, der face value, bei
dem nicht das Geschehen, sondern seine ihm stets ablesbare Bedeutung zu nehmen
ist. Was daran dagegen oft funktioniert: die ausgetüftelte Narration,
die Fabeln findet für den Schein des Spielerischen. So auch hier: Drei
Leben des Witek werden erzählt, am einen springenden Punkt der rollenden
Münze, des abfahrenden Zuges gabelt sich die Biografie. Der Held in
der Partei, der Held gegen die Partei, der Held als Arzt. Drei Frauen.
Gewissenskämpfe. Die drei Episoden addieren sich zum virtuellen
Porträt eines Mannes. Es steckt eine These zur Identität darin:
so verschieden der Lebenslauf, so im Grunde derselbe Mann.
Kieslowski ist unter den großen Regisseuren vielleicht der
größte Manipulator. Er hält nicht damit hinterm Berg, wie
der Zuschauer denken, fühlen soll angesichts dessen, was er sieht. Die
Musik gibt das Kommando, schon vor Zbigniew Preisner (hier Wojciech Kilar),
und ihre Rolle ist gar nicht zu überschätzen. Nichts geschieht
in diesem Film, um nur zu geschehen. Alles ist Zeichen. Der Mann, der im
Weg steht, ist kein Mann, der im Weg steht, sondern Verkörperung einer
Lebens-Weiche. Liebe ist nicht Liebe, sondern Charakterfrage: An der Entscheidung
für die Frau, gegen die Frau offenbart sich das Wesen. So ist die Frau
nicht die Frau, sondern das Objekt, an dem sich in der Entscheidung
Entscheidendes offenbart. Und zuletzt ist Witek nicht irgendwer, nicht eine
Figur, an der irgend Empirisches als solches interessiert (die historische
Situation, so wichtig sie scheint, ist und bleibt nur Folie), sondern er
ist der Agent einer theologischen Frage, Puppe in der Hand des Manipulators
Kieslowski.
Freilich: Es ist gar nicht so einfach, Kieslowski zu widerstehen. Er ist
raffinierter, geschickter Montage-Künstler und Orchestrator von Gedanken
und Gefühlen genug, dass sich, beinahe pervers, Identifikationen einstellen,
ein Haften an der Oberfläche der Figur und ihres Schicksals. Es ist
dies aber ein Haften, das sich der Prätention einer Tiefe hinter der
Oberfläche nicht zuletzt verdankt. Nichts als Schein, wohin man sieht.
Kieslowski baut Potemkinsche Dörfer der Seele, in denen man sich verdammt
leicht aufgehoben fühlt.
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