Ross McElwee: Bright Leaves (USA
2003)
Von Michael Baute
Die Verzweigungen der Situation "ich" als Erzählverfahren, ein andauerndes
Weitermachen - Suchen, Finden, Abstoßen, Integrieren, und vor allen
Dingen: Weitermachen. Mäandern, als sei es die natürlichste aller
Ausdrucksformen.
Arnaud des Pallières: Adieu (F
2004)
Von Ekkehard Knörer
Man wird die Ästhetik, zu der sich seine Bild-Ton-Allegorien
zusammenschließen, als eine Ästhetik des Sakralen bezeichnen
können, sakral noch in der Gottverlassenheit der Welt, die darin entworfen
wird. "Adieu" ist ein Film, der mit aller Entschlossenheit das Kino
verrückt, an einen Ort, den es noch nicht gab. Er denkt die Welt anders
als sie bisher gedacht worden ist, er erschließt dem Zeit- und
Bewegungsbild einen neuen Raum. Mit aller Peinlichkeit und allem Pathos,
die in dieser Hybris liegen.
Arnaud Desplechin: Rois et Reine
(F 2004)
Von Ekkehard Knörer
"Rois et Reine" ist ein Film, der vor sich hinblinzelt, der einen anblinzelt,
aber nicht, um einen plump ins Vertrauen zu ziehen, sondern wie man blinzelt
beim Erwachen oder vielleicht auch dann, wenn man nicht recht weiß,
ob das, was man sieht und erlebt, jetzt ein Traum ist oder Wirklichkeit.
"Rois et Reine" ist ein Film, der kein Halten kennt, bei aller Behutsamkeit,
zwischen Traum und Wirklichkeit, in dem die ungeheuerlichsten Dinge wie nebenbei
geschehen, und keiner ist da, der einem das alles erklärt, diese
Haltlosigkeit von einer Figur zur nächsten, von einer Geschichte zur
nächsten, eine Haltlosigkeit, die keine Regeln kennt, die das Stolpern
zum Prinzip erklärt.
Lisandro Alonso: Los Muertos
(Argentinien 2004)
Von Ekkehard Knörer
Minutenlang durch einen Dschungel aus Grün und Licht, eine Plansequenz,
die Kamera gleitet wie ein geschmeidiges Tier durchs Unterholz, das
Blätterdach bleibt in der Unschärfe, verschwimmt zu einem Lichtnetz
aus Weiß und Grün. Wie zufällig fällt dann der Blick,
auf dem Boden, in der Schärfe, auf eine jugendliche Leiche, später
eine weitere, später auf den Mörder, genauer gesagt: auf den Arm,
die Hand, darin die Machete. Nach dieser Sequenz schließt sich das
Lichtnetz zum undurchdringlichen Grün, das die Leinwand füllt,
ein paar Sekunden.
Kiyoshi Kurosawa: Doppelgänger
(Japan 2003)
Von Ekkehard Knörer
Der Film wird zum Road-Movie mit Prothesen-Maschine, Werkzeug, Halbtoten
und Leichen. Er bewegt sich fort, ans Meer, keiner weiß warum, er findet
ein Ende, weil eines kommen muss, aber den Sinn, die Romantik, die Maschine
und sämtliche angeschleppten Motive schmeißt Kurosawa über
die Klippen seines Schlussbilds wie ein trotziges Kind.
Isild Le Besco: Demi-Tarif (F
2003)
Von Ekkehard Knörer
Was beschworen wird, herauf aus dem Wasser ins Bild (nur um am Ende wieder
ins Wasser zu entgleiten, wie ein Traum, ein Traum unter Wasser) ist das
Glück einer Kindheit ohne Über-Ich, vaterlos, mutterlos. Die Mutter
ist Instanz in der Rede, sie kam, sie verließ uns wieder, jedoch ist
sie nie im Bild.
Von Ekkehard Knörer
"American Splendor" ist ein Film über den Sozialtypus Nerd. Eine
Rehabilitation des Nerds, die einem nicht vormacht, Nerds seien angenehme
Menschen. Man erlebt sie besser aus der Distanz. "I am depressing", sagt
Harvey Pekar und man glaubt ihm aufs Wort. "I am a Nerd", sagt Toby Radloff
und ein Blick genügt. Man hört es auch mit geschlossenen Augen,
denn in Wahrheit sagt er "I am a Niard" und diese Abweichung fasst zusammen,
was den Nerd ausmacht: Er ist unmöglich. Er weiß sich nicht zu
benehmen. Er ist seltsam und das auf total uncoole Art.
s. auch die Kritik von Thomas
Reuthebuch
Kritik von Ekkehard Knörer
Eine Gittertür schließt sich, der dicke
Mann, der Räuber, ist gefangen. Er schießt auf den anderen, er
wird nicht entkommen können. Vor der Tür, jetzt vergittert, sein
Komplize, entsetzt, auf- und ablaufend, Passanten, sich nähernd, sich
entferndend, entsetzt, schreiend. Dann der dicke Mann, Gesicht zur Kamera,
vor dem hellen Ausschnitt der Tür, auf den die Kamera langsam, kaum
merklich zoomt, er setzt die Waffe an die rechte Schläfe. Schuss.
Schnitt.
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Hölle der Folterkammer wird zwischen Realem und Imaginärem
hin- und hergespiegelt. Im Passwort findet beides zueinander. "Demonlover"
erzählt seine Geschichte der Demontage einer Heldin, deren
Kontrollvermögen in Unterscheidungsfähigkeit besteht (meine Seite/die
andere Seite) hinab, hinein in die Schichtungen einer Fassade, in denen der
Unterschied von Oberfläche und Tiefe haargenau an der Bildfläche
eines Monitors zuschanden geht. Landet die Heldin in der Folterkammer des
Realen? In einer realen Folterkammer?
Kritik von Ekkehard Knörer
Er dreht sich danach auf dem Bett zur Seite, verzweifelt, er weint, er verflucht
sie. Es wird keinen Trost geben, keine Erlösung, das wissen wir
spätestens jetzt, denn wie in düstere, regenverhangene Dämmerung
fällt die Erklärung wie ein Blitz. Nun steht alles in großer
Klarheit da: Es wird keinen Trost geben, eine Ende nur, das kein Ende ist:
Vincent Gallo von der Seite, freeze frame, Schluss.
Kritik von Ekkehard Knörer
In "Hotel" wird das Bild, wird der Kader instabil,
fächern sich die Bildsorten wie die Perspektiven und die von ihnen
angezeigten Wahrnehmungsweisen auf, ohne noch auf einen archimedischen Punkt
- sei es des Erzählens, sei es der Sinnstiftung - zurückzukommen.
Gespensterhaft aber sind nicht nur die Bilder, gespenstergleich hausen Untote
im Keller des Hotels, ein Zwischenreich, in das zuletzt auch Jonathan, der
Produzent, der Regisseur werden will, eingehen wird.
Kritik von Ekkehard Knörer
Ein Text, ein Raum, drei Darsteller. Unsichtbar, gelenk, geschwind und hin
und wieder reißgeschwenkt: die digitale Kamera. Der Film als klassisches
Theater: Einheit von Raum, Zeit (die hier als Realzeit auftritt), Handlung,
dazwischen kommt nur der gesteuerte Blick. "Tape" könnte ein wunderbares
Experiment sein. Am Ende ist es doch nur ein Film von Richard Linklater.
Kritik von Ekkehard Knörer
Cronenberg hat in "Spider" die Schizophrenie in die Struktur des Bilds gelegt.
Der Schock liegt nicht in dem, was zu sehen ist, sondern im Sehen selbst.
Die, um es paradox zu formulieren: intensive Nüchternheit, die
nachdrückliche Selbstverständlichkeit, mit der hier Wahnsinn als
Äußerung eines wahnsinnigen Blicks vor Augen steht, verhindern
das, was man gerne Mitgefühl nennt oder Identifikation. Mit der Figur.
Was nämlich geschieht: Aufgezwungen wird dem Betrachter die Schizophrenie
selbst, als Schwierigkeit, die Unterscheidungen, deren Verlust der Film nicht
zeigt, sondern performiert - die Unterscheidungen zwischen Wahn und Wirklichkeit,
zwischen Gegenwart und Vergangenheit - anders als nur in der Reflexion wieder
einzufügen.
Kritik von Ekkehard Knörer
Park setzt auf Externalisierung des Innenlebens seiner Figuren. An die Stelle
des Mitgefühls tritt so der Blick auf massive Verletzungen des
Körpers. Die Verzweiflung eines gefeuerten Arbeiters findet ihren Ausdruck
in dessen Selbstverstümmelung: mit einem Teppichmesser versetzt er sich
Schnitte in den Bauch, das heraustretende Blut verlangt nicht nach Deutung
und produziert nicht Tränen des Mitgefühls. Es ist nicht Symbol,
sondern nüchtern betrachtete Anklage, ein Schrei der Verzweiflung ohne
jede Beimischung von Sentimentalität.
Kritik von Ekkehard Knörer
In welchem Verhältnis die Splitter, Stränge, Schichten, Elemente
des Films zueinander stehen, wird einem nahe gelegt, aber selten vorgeschrieben,
zuletzt setzt Godard auf die Assoziationen des Betrachters. So auch hier:
Die Wege, die durch Eloge de l'amour führen, sind alles andere als linear,
sie fügen sich keiner vertrauten Konvention (man kann nur auf andere
Filme verweisen, und zwar die von Jean-Luc Godard) und alles Nacherzählen
verfälscht den Eindruck, den man vor der Leinwand hat: Verwirrung. Man
kommt nicht nach. Zu viel zu schnell. Zu wenig aufklärbar in seinen
Zusammenhängen. |
Lucrecia Martel: La Nina Santa
(Argentinien 2004)
Von Stephane Boeuf
Der Film endet im Swimmingpool. José bietet sich an, für Amalia
eine Schwester zu werden. Beide schwimmen nebeneinander und beschreiben
Diagonalen im Pool, während in den Räumen des Hotels, die sie verlassen
haben, eine ganze Welt zusammenbricht.
Rithy Panh: S-21, la machine de mort
Khmère rouge (23.11.)
Von Ekkehard Knörer
Theatrale Szenen, aber auf dieser Bühne, die keine Bühne ist, agieren
keine Schauspieler. Sie beschimpfen die Gefangenen, die man nicht sieht,
sie erklären, was sie tun und sie tun, was sie getan haben. Die Erinnerung
bricht durch, in ihren Körpern. Die Erinnerung, die sie in ihren
Körpern gefangen hielten all die Jahre, bricht heraus und die Körper
fallen gestisch zurück in die Untaten, die sie nie vergessen haben,
die sie nie vergessen werden. Ein paradoxes Moment von Freiheit und Unfreiheit
zugleich: Die Freiheit, die sich die Körper nehmen dürfen, die
Vergangenheit erinnernd einzugestehen und die äußerste Unfreiheit
der Körper, die nur in der zwanghaften Wiederholung zur Erinnerung finden.
Benoit Jacquot: A tout de Suite
(F 2004)
Von Ekkehard Knörer
In der weit reichenden Verinnerlichung seiner Motive schweigt der Film beredt
zu den Hoffnungen einer Generation. Lesbar wird Jacquots Gangsterballade
als Gegenstück zu Bertoluccis so sentimentalen wie nostalgischen
"Träumern", dem Entwurf also einer Innerlichkeit, in dem Revolution,
Liebe und Nouvelle Vague in ganz imaginärer Weise für einen Moment
noch einmal zusammenfinden: eine Altmännerfantasie.
Ousmane Sembène: Moolaadé
(Senegal 2004)
Von Ekkehard Knörer
Collé zieht eine Linie, ein buntes Seil vor ihrer Schwelle: Dieses
Band schützt die vier Mädchen, die zu ihr kommen, auf der Flucht
vor dem Ritual der Genitalbeschneidung. Ihnen auf den Fersen die Beschneiderinnen
in rot, furchterregend, aber machtlos. Was sich entwickelt, ist, wenn man
so will, ein Polit- und Gerichtsthriller, der um Fragen der Macht, von
Sprechakten, von möglichen Revolutionen des Gesetzes kreist.
Hou Hsiao-hsien: Café
Lumière (Japan 2004)
Von Ekkehard Knörer
Einen Ozufilm drehen, vierzig Jahre nach Ozus Tod, im Auftrag von Shochiku,
Ozus Studio, als Hou Hsiao-hsien, einer der respektiertesten Autorenfilmer
der Welt, ohne einen Ozufilm zu drehen, der in Wahrheit ein Houfilm wäre,
oder einen Houfilm, der in Wahrheit ein Ozufilm wäre, der nur einen
Knicks zu Ozu macht oder sich Ozu anverwandelt, einen Houfilm in Japan, der
mit Ozu-Motiven spielt, eine Ozu-Geschichte, die als Houfilm erzählt
ist, aber als Ozufilm kadriert, mit einem Ozuvater, halb verstummt, einer
Ozutochter ganz von heute, also von diesem verstummten Vater kaum mehr
beeinflussbar, wie soll das denn glücken.
Rituparno Gosh: Chokher Bali (Indien
2003)
Von Ekkehard Knörer
Der Zirkel des Begehrens kommt nicht zur Ruhe, sondern wird gesprengt. Die
Inszenierung aber schließt, mit der Wiederholung einer selbst schon
das Zirkuläre suchenden Einstellung, den Kreis: Der Blick auf ein
Treppenhaus, zentral dabei aber die Treppen, die Architektur, das Statische,
nicht die auf den Stufen, im Erdgeschoss herumeilenden Menschen.
Tian Zhuangzhuang: Delamu (Japan/China
2004)
Von Birgit Kellner
Ein Film wie "Delamu" lässt sich nicht ohne Skepsis betrachten.
Volksrepublik China und Gebiete mit ethnischen Minoritäten - die Lisu,
die Nu, die Tibeter -, da könnte viel Pittoreskes aufkommen, viel Lied
und Spiel und Tanz und Naturverbundenheit, wie es eben die Volksrepublik
China mit ihren Minoritäten heute so gerne hat. Das alles kommt aber
nicht auf in "Delamu". |
Jean-Marie
Straub, Danièle Huillet: Une Visite au Louvre (F 2004)
Von Ekkehard Knörer
Die Stimme Cézannes, die Stimme von Julie Koltai, die Stimme von
Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Oder geht das jetzt zu schnell.
Wir dürfen die Schwarzbilder nicht vergessen. Wir dürfen die Bilder
der Natur, die Bilder von Paris zu Beginn, die Bilder der Natur am Ende,
die dürfen wir nicht vergessen. Sie sprechen zu uns ohne Stimme, sie
sind uns zu sehen gegeben durch den Schnitt, der sie von den Bildern des
Museums trennt.
Raja (Jacques Doillon,
F 2003) |
Kritik von Ekkehard Knörer
Der Film kennt keinen andere Standpunkt als diese beiden, ihren, seinen.
Und dieser Standpunkt, ihrer, seiner, ist im Prozess staendiger Verschiebung
begriffen, eines Fragens auch danach, ob dem anderen zu trauen ist. Und ob
man sich selbst trauen kann. Beide wissen, nachdem sie sich auf das Wagnis
dieses Missverstaendnisses eingelassen haben, immer wieder nicht mehr, wo
sie stehen, was sie wollen. Eroeffnung von Sackgassen.
Kritik von Ekkehard Knörer
Irgendwann, immer dann, wenn er aus den Winkeln tritt, in die er sich
gelegentlich zurückzieht, ist "Donnie Darko" dann zu voll. Verloren
ans Zuviel. Zwischendrin hab ich ihn sehr gemocht. Nicht weil er clever ist,
was er ist, sondern weil er zu ahnen scheint und ahnen lässt, dass da
mehr sein könnte als das Viele, was er auftischt: dazwischen, daneben,
dahinter. Im Stehenlassen der Momente, der Vignetten. Im langsamen Fallen
aus der Welt.
Kritik von Ekkehard Knörer
In den Subjektstatus kann sich Sullivan/Thursby nur
dank der Hilfe von außen retten. Drei Fronten sind es, zwischen denen
der Held wie eine Billardkugel hin- und hergespielt wird, ohne zu wissen,
wie ihm geschieht. Herr ist er nur, oder: immerhin, über dieses Nichtwissen.
Er kommt zu sich, ohne je genau bestimmen zu können, wer genau der ist,
zu dem er kommt. Ob er der ist. Oder ein anderer. Nur die Idioynkrasien sind
ein Anhalt. Aber ist einer schon ein Subjekt, weil er weiß, was er
gerne raucht oder trinkt? Nichts, lehrt uns die Werbung - bekanntlich die
größte Gehirnwäscheagentur der Wirklichkeit -, ist
manipulierbarer.
Kritik von Andreas Thomas
Die fragile Carol fällt geradezu aus allen ihren
Bezügen, doch das Sicherheits-Netz ist eher eine Falle. Da ihr Leiden
an einer sterilen Gesellschaft von derselben tabuisiert wird, muss sie es
auf die "Umwelt" projizieren. Ihre deklarierten Helfer sind Scharlatane,
sie greifen nach "Umwelt-Opfern" lediglich, um Geld aus ihnen herauszuholen.
Falls die schwer kranke Carol überhaupt überleben sollte, ist eine
psychische Rettung kaum in Sicht.
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Zärtlichkeit, die vielleicht immer nur Schein war, von sich wirft,
oder: eine andere Zärtlichkeit sucht, die Zärtlichkeit des Vampirs.
Es ginge dann nicht um Deformation, sondern um das Zu-sich-Kommen einer Form.
Eine Schönheit, der die schiere ungefällige Schönheit (die
zugleich atemberaubende Hässlichkeit) der Körper von Béatrice
Dalle und Vincent Gallo vorarbeitet. An diesen Körpern findet die Lust
am Überströmen und Aufreißen der Haut, der Oberflächen,
der Texturen ihre glaubwürdige Manifestation. Trouble Every Day
ist die Lust am Bild als Textur der Oberfläche im Umschlag in den Rausch,
den Blutrausch.
Kritik von Ekkehard Knörer
Dieses Ineinander von Haupt- und Nebensachen entfaltet auf die Dauer großen
Zauber. Auch die Bilder stehen, zu keinem Zusammenhang genötigt, für
sich, als Schritt- und Schnittfolge von Schritten auf Asphalt, immer wieder
zeigt To die Polizisten in der Reduktion der Action auf reine Bewegung. Das
besitzt Eleganz ohne alle Stilisierung, Johnnie To gelingt das kleine Wunder,
der Form, die alltäglich daherkommt, eine seltsame Poesie zu entlocken.
Blissfully
Yours (Apichatpong Weerasethakul; Thailand 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer
"Best Undistributed Film 2002",
Village Voice
Gewinner "Un Certain Regard",
Cannes 2002
Die Natur, in die die Figuren sehr buchstäblich gebettet werden, legt
Vorstellungen des Paradiesischen nahe. Weerasethakul durchkreuzt sie freilich
mit leichter Hand: Orn, auf dem Weg zu Min und Roong, duchquert eine Art
Mülldeponie mitten im Wald. Die Reduktion der drei Figuren aufs
Kreatürliche ist vielleicht nicht mehr als genau das: alle Mitbeschreibung
von Gesellschaft wie von Plot-Zusammenhängen ist aus den Bildern
gedrängt zur Eröffnung eines Freiraums, der dann der Raum (auch
der von nichts als der Montage und der Dauer der Einstellungen gegebene
Zeit-Raum) eines reinen Kinos wäre, das nicht mehr im Sinn hat als sich
(die Kamera wie die Leinwand) bereit zu halten fürs Notat. Von
Körpern, von Anblicken.
Kritik von Ekkehard Knörer
Timecode bewegt sich an den Grenzen der Erzählform Kino. Ein
klarerweise experimenteller Film, aufgebaut aus zwei vergleichsweise kontingenten
Prämissen. Prämisse 1: Timecode ist ein Film ohne einen
einzigen Schnitt, gedreht in Realzeit, eingefangen von einer Digital Video
Kamera. Prämisse 2: Erzählt wird die Geschichte, werden die
Geschichten, in vier Strängen - und das ist nur so zu bewältigen,
dass der Schnitt, der diese in einem Standardfilm (dem so freilich die Realzeit
immer noch nicht ausgetrieben wäre) verflechten würde, als
Splitscreen-Kreuz auf die Leinwand selbst verlegt wird.
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