Wohl nicht mehr als zwei Kopien, von denen die gezeigte eine ist, gibt
es von dieser Version des Films "Arbeiter in der Fabrik", der von Chris Marker
zum einen, von der Gruppe Medvedkin zum anderen signiert ist. Den Kommentar
aber, den im Original Marker spricht - nüchtern, sehr viel nüchterner
als ich Marker-Kommentare bisher kannte -, diesen Kommentar kommentiert im
NDR-Studio noch einmal Christian Geissler, vom Blatt lesend, das eine Bein
über das andere geschlagen, links neben sich eine Tafel, auf der zu
lesen ist, dass der Film keine Magie sei, sondern eine Technik und als solche
ein Mittel, das jeder in die Hand nehmen kann, zum Zweck der Darstellung
der Verhältnisse, in denen er lebt.
Der Film "Arbeiter in der Fabrik" ist nicht ein Film, sondern vier - und
der entscheidende Moment, von Christian Geissler betont und ein bisschen
zerquatscht zugleich, liegt im Übergang vom ersten zum zweiten. Marker
und seine Freunde vom Kollektiv "SLON" haben eine Fabrik besucht, im Jahr
1967, um das Leben der Arbeiter zu dokumentieren. Bei der Vorführung
aber, in der Fabrik, kommt es zu heftigen Diskussionen, die Dargestellten
sind mit der Darstellung nicht durchweg einverstanden. Also nehmen sie, unter
Anleitung der Filmemacher, das Heft in die Hand und beginnen mit dem Filmemachen.
Was man dann sieht, sind drei Filme, die die Arbeiter selbst gemacht haben,
wenngleich kommentiert von Chris Marker, wenngleich noch einmal kommentiert
von Christian Geissler.
Was sie zeigen wollen, ist die "Bewusstseinsveränderung"; im Zentrum
steht eine Arbeiterin, die sich, im Sprung vom ersten Film zu den weiteren
- die Bewegung, den Bruch also selbst, für sich, auf eigene Faust agierend
-, für die kommunistische Gewerkschaft zu engagieren beginnt. Man sieht
sie bei einer Ansprache - und die Frage, was es heißt, das Wort zu
ergreifen, zur Menge zu sprechen, das wird wiederholt thematisiert. Klare
Antworten gibt es kaum, aber es ist schon, hier, heute, in Halle/Saale, in
der Volkspark-Sporthalle der Werkleitz-Biennale, erstaunlich zu erleben,
wie selbstverständlich die Aneignung zu funktionieren scheint. Die Aneignung
einer Stimme, die den ArbeiterInnen der Lage der Dinge nach nicht zukommt,
die Aneignung auch einer Vorstellungskraft, die ins, und sei es ein klein
wenig klein dimensionierte, Utopische ausgreift: jeden Abend Kino.
Es ist dieses Moment der Selbstverständlichkeit, in dem etwas denkbar
wird, aussprechbar und ausgesprochen, als Moment eines vorstellbar gewordenen
Umsturzes (im Kleinen, sehr Kleinen), das den Film über den historischen
Augenblick, den er dokumentiert, hinausreichen lässt. In eine
Gültigkeit, die sich gegen aktuelle Bewusstseinslagen scharf abhebt,
die kaum mehr als Naivitäten in diesem Moment zu entdecken vermögen.
Als wäre es nicht bewundernswert zu sehen, wie hier die Klage über
mit Recht als schrecklich empfundene Verhältnisse nicht nur in Aktion
umschlägt, sondern zugleich in die selbstbewusst aneignende Aufzeichnung
und Reflexion der Aktion. Und wenn alles zu nichts führt als einer brutalen
Gehaltskürzung: dass es die schiere Denkbarkeit eines
selbstverständlichen Aufbegehrens manifestiert, macht dieses Filmdokument
wertvoll.
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