Die Reise hat begonnen, es gibt das "Vor der Reise" nur retrospektiv.
Und retrospektiv stellt sich auf der Reise das "Vor der Reise" plötzlich
anders dar. Der Mann, die Frau, acht Jahre verheiratet, erkennen einander
nicht wieder. Es ist, sagt sie, das erste Mal seit der Hochzeit, dass wir
wirklich miteinander allein sind. Und er langweilt sich zu Tode. Mit mir,
sagt sie. Nein, sagt er, es ist nur, weil ich nichts zu tun habe.
Die "Reise in Italien" ist kein Road Movie, obwohl der Film mit einer Einstellung
im Auto beginnt, in Bewegung. Er wird mit dem Ausstieg aus dem Auto enden,
in einer Prozession, die das Auto stoppt. Dann geschieht aus heiterem Himmel
ein Wunder, buchstäblich, wirklich, verstörend: ein Wunder. Einer
kann wieder gehen, zwei können wieder lieben.
Der Film, der kein Road Movie ist, in dem viel herumgesessen wird, in
Gesellschaft, auf der Terrasse im Schatten des Vesuv, erzählt vom Prozess
einer Entfremdung. Genauer gesagt: Er erzählt vom Prozess der Bewusstwerdung
einer Entfremdung, die - "vor der Reise" - längst stattgefunden hat.
Diese Fremdheit sucht nach Austrag in Einstellungen des Films. Diese Suche
nach dem Austrag ist den Einstellungen noch anzusehen, den Unsicherheiten
auch der Darsteller im Raum, im Sprechen zueinander, miteinandern, aufeinander
zu, voneinander weg. Die Bewegung einer Entfernung, der die räumliche
Ferne, die Trennung korrespondiert. Und auch die Bewegung auf das Wunder
zu, das Wunder der Nähe: Man fällt sich, aus heiterem Himmel, um
den Hals.
Dieses Ende ist unendlich verstörend, weil es sich nicht vorbereitet
zu haben scheint. Es ist unter den Möglichkeiten des Ausgangs die
entschieden unwahrscheinlichste; daher auch kein "falsches" Happy End. Die
"Falschheit", das Abrupte, das deus-ex-machina-Hafte des Endes ist so
offenkundig, dass sich das Falsche daran ins Wahre - wenn auch Unbegreifliche
- umkehrt.
Die Geschichte der Nouvelle Vague, als Aufbruch, ist dem Film, der davon
noch nichts ahnen konnte, anzusehen. Er ist voll mit den späteren Bildern.
Er ist die Revolution, die stattfinden wird. Die Darsteller als Quasi-Natur,
der Bazinsche Wunsch, ihnen eine aus der Narration sich ins Reale abhebende
Eigenheit, eine Rückseite der Darstellung abzugewinnen - das hat George
Sanders, ist zu lesen, verrückt gemacht. Der Wunsch, die Wahrheit da
zu finden, wo der Rahmen verschwunden ist, im Moment des Verschwindens des
Rahmens. Der Rahmen wäre: das Drehbuch, die Markierung der Schritte,
die psychologische Interpretation der Rolle.
Das al fresco der Fahrten durch die Stadt. Das Dokumentarische der touristischen
Ausflüge. Die symbolischen Bedeutungen des Vesuvischen liegen keine
vier Meter unter der Oberfläche des Films, aber Rossellini hält
sie dokumentarisch auf Abstand. Der Film rät eher davon ab, etwas
hineinzulesen. Der Vesuv ist der Vesuv, nicht das Sinnbild unterdrückter
Gefühle, nicht das Sinnbild des Aufbrechens lange unterdrückter
Gefühle.
Übrigens gibt es mehr als eine Enttäuschung, Täuschung,
Aufklärung von Täuschungsverhältnissen. Auch der Poet, den
die Frau vielleicht liebte, dessen Gedicht sie zitiert, hat sich geirrt.
Die Körper der Kunst von Pompeji sind keine asketischen Körper.
Sie leben wie wir, sagt Ingrid Bergman. Indem sie die Projektion des Dichters
erkennt, wird ihr die eigene Projektion klar (und vielleicht bereitet sich,
im tiefsten Grund, doch das Wunder vor. Ein Gegenprozess der Erkenntnis,
der, wie manche chemische Reaktion, ganz schlagartig, ganz unvorbereitet
einsetzt).
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