Victor Erices "El Espìritu de la colmena" ist doppelt datiert,
zu Beginn. Das erste Datum ist, paradox genug, aber sehr einleuchtend, kein
Datum: Es war einmal... Das zweite Datum ist klar, noch unter dem Deckmantel
der Lakonie, mit dem es als schlichte Einblendung auftritt: Kastilien, um
das Jahr 1940. Erices Film kam 1973 in die Kinos, noch unter Francos Herrschaft,
deren Beginn dem Film, in diesem doppelten Datum, die Zeit gibt. Eine Zeit,
die keine ist, Traumzeit, Kinozeit, Kinderzeit.
Kinozeit: Im improvisierten Kinosaal des Dorfes läuft "Frankenstein"
von James Whale. Auf der Leinwand warnt ein Mann davor, den Film zu ernst
zu nehmen. Vor der Leinwand die Schwestern Ana und Isabel. Isabel wird
später zu Ana sagen, es sterbe niemand im Kino, alles sei Spiel. Auf
der Leinwand Boris Karloff, der am Ufer mit einem kleinen Mädchen Blumen
ins Wasser treiben lässt. Draußen Anas und Isabels Vater, der
seine Bienenstöcke untersucht, Anas und Isabels Mutter Teresa, die einen
Brief an einen Geliebten (mit Namen Hiob) in der Ferne zum Zug bringt, der
ihn mitnimmt. Das Mädchen im Film wird sterben, man sieht, auf dem
abgeklebten Viereck im Raum, in den die Besucher erst die Stühle tragen
müssen, auf denen sie sitzen werden, wie der Vater das Kind durch die
Straße des Dorfes trägt. Präfiguration des Kommenden, wirklich
und wie im Traum. Die Geräusche des Films sind im ganzen, wie ausgestorbenen
Dorf zu hören, der Vater steht am Fenster und horcht hinaus.
Kinderzeit: Nichts davon ist wirklich, sagt Isabel, aber Ana
erträumt sich Frankensteins Monster. Er ist nur ein Geist, eine Erscheinung,
die sich flüchtige Gestalt verschafft, sagt Isabel, draußen in
der Ruine mitten auf dem Feld. Die Schwestern stehen auf einem flachen
Hügel, blicken über das Feld, auf die Ruine, Annäherung in
Überblendungen. Diese Blenden sind die Kinderzeit des Films, fließend,
unbestimmbar, Bewegung und Nicht-Bewegung zugleich. Um die Ruine mit dem
Brunnen weht der Wind. Erst ist sie leer, später wird Ana finden, was
sie herbeigeträumt hat, ihr Monster und auch nicht. Denn dies ist kein
Märchen und kein Film. Die Toten sind tot, wenngleich Isabel Schabernack
treibt mit der Grenze zwischen Leben und Tod. Aufgebahrt wird die Leiche
des Mannes aus der Ruine im Kinosaal, vor der Leinwand, dem abgeklebten
Viereck.
Der Film lässt sich ein auf die Kinderzeit Anas. Ihrem Traum
vom von der Leinwand herabgestiegenen Monster gewährt er den Ernst
wirklicher Bilder. Sie hat einen Schock erlitten, sagt der Arzt, Vertreter
des Realitätsprinzips, dessen Macht nicht gebrochen ist, aber suspendiert,
in Momenten. Die Kamera blickt in gleicher Weise auf Anas Gesicht, auf einen
tödlichen Pilz, den der Vater zertritt, auf das Blut, das in der Ruine
zurückgeblieben ist. Auf das Gesicht des Vaters, weiß umrahmt
vom Schutzanzug, den er trägt, als Imker. Auf das Feuer, durch das die
Kinder springen, im Spiel. Auf Isabel, die eine Tote spielt, auf das Gesicht
des Monsters, das sich Ana nähert, am Ufer zu spielen. Der Raum des
Films, die Zeit: ein Schweben, das offen ist zur blutigen Wirklichkeit des
Franco-Regimes, offen, in leisesten Andeutungen für das Leben der Mutter,
des Vaters, offen aber, vor allem, für Ana und die ihre Welt.
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