In der Eingangssequenz öffnet sich entlang einer hierarchischen Kette
Tür um Tür: Eine Unregelmäßigkeit wurde gefunden, die
Information gelangt von unten nach oben. Die Unregelmäßigkeit
ist David Charleston, er ist Leuchtturmwärter im Lake Michigan, und
er hat seit Monaten seine Schecks nicht eingelöst. Einer also, der sich
aus dem Zahlungsverkehr gezogen hat, eine rätselhafte Figur, die dann,
versteht sich, bald aufgesucht wird. Die Eingangssequenz aber steht im
metaphorischen Zusammenhang mit der folgenden Geschichte, die Tür um
Tür öffnet, nicht entlang einer Kette des Hierarchischen freilich,
sondern des Unvorhersehbaren und Fantastischen.
David Charleston (Michael Redgrave), den ein alter Freund (James Mason) in
seinem Leuchtturm aufsucht, ist ein Eigenbrötler, aber er war es nicht
immer. Im Gegenteil. Ein einst erfolgreicher Journalist im Kampf gegen den
aufziehenden Faschismus, er hat - wir schreiben das Jahr 1939 - aufgegeben,
sich in seine splendid isolation auf einer Insel, die nicht mehr als ein
Felsen ist, zurückgezogen. Liest nicht mehr, schreibt nicht mehr, löst
keine Schecks mehr ein. Die Welt ist ihm rettungslos verloren, für seinen
Freund, der als Flieger gegen Japan kämpfen will, hat er nur Spott.
Natürlich ist diese Insel mit dem Leuchtturm ein allegorischer Ort.
Beim Rückzug, so viel steht fest, kann es nicht bleiben. Wie aber die
Bekehrung des Eremiten Charleston ins Werk gesetzt wird, das verblüfft.
Seinen Ausgang nimmt alles an einer unscheinbaren, im Leuchtturm angebrachten
Gedenktafel. Im Jahr 1849 ist ein Schiff, steht da, im Lake Michigan
verunglückt, an Bord Auswanderer aus Europa, alle kamen ums Leben.
Charleston hat das Logbuch gefunden mit den Namen der Emigranten und dem
des Kapitäns. Mit ihnen, das vertraut er dem Freund an, befasst er sich,
ja, mehr als das: Sie imaginiert er sich, mit ihnen möbliert er seine
Fantasie, seinen Leuchtturm, seinen Rückzugsort.
Den Kapitän, den wir dann bald sehen, zieht er ins Vertrauen, ihm
verrät er: Mr. Stuart, Sie sind tot, die anderen sind es auch. Es kommt
zu Auftritten, Familie Kurtz aus Wien, Armutsflüchtlinge aus England,
eine Kindsgeburt, schwankende Gestalten treppauf, treppab. Stuart, der
Kapitän an Charlestons Seite, ist empört ob der Oberflächlichkeit
der ausgedachten Figuren. Es folgt eine Serie von Rückblenden. Die eine
ins Reale, in Charlestons Vorleben als Journalist und Aktivist,
aufgeblättert wird seine Kampfschrift wider den Faschismus. Dies
Blättern aber geht beinahe nahtlos über in die sorgfältigere
Ausarbeitung der Logbuch-Fantasie.
Die Geister werden lebendig, aus dem Turm geht's zurück in die
Historienerzählung, nach England, nach Wien, ein Kostümfilm, aber
als Agitprop der umwerfenden Art. Man erfährt das Schicksal der alten
Jungfer Ellen, die eine vehemente Kämpferin für die Rechte der
Frau gewesen ist, in der Alten Welt, ins Gefängnis geworfen, ungebeugt
bis zur Flucht nach Amerika. Und Kurtz, der Arzt, in Wien angefeindet vom
fortschrittsfeindlichen Kollegen-Milieu wegen seiner Erfindung eines
Narkosemittels. Sie alle versammeln sich als Geister um Charleston, der nun
eine Predigt hält, die ihm das schlechte Gewissen eingibt. Wie konntet
ihr aufgeben, fragt er. Wie konntest du aufgeben, ruft es zurück.
Faszinierend ist, wie inzwischen der Ort, der der Leuchtturm war, ein ganz
anderer geworden ist. Die Geister haben Leben, Geschichte, Politik und Pathos
in die Bude gebracht. Anrührend der Moment, in dem Charleston ihnen
ihr Schicksal eröffnet, die manifesten Geister flehen ihn an,
weiterzukämpfen, dann ziehen sie sich aus seinem Geist zurück,
betreiben die Auslöschung der Imagination, die sie geschaffen hat. Wagemutig
schwankt das zwischen Fantasy und Propagandafilm - und mit beidem ist es
"Thunder Rock" gleich ernst. Der Film geht durch mehr als eine Tür,
packt den Betrachter sozialdramatisch und weltpolitisch, gehorcht den selbst
gesetzten Regeln der Geistergeschichte und entlässt zuletzt seinen
resignierten Helden wieder ins Leben.
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