Eintrittsszenario: Die Tür, das Schild "Corpus Callosum",
der Monitor, rechts oben, Menschen gehen hinein, kurze Blicke nur in den
Raum dahinter. Vielleicht sollte man "Raum" sagen. Und "Menschen"?
Der größte Teil des digitalen Videos, das in den Kinos
auf 16mm kopiert zu sehen ist, besteht aus einer Kamerafahrt durch ein
Büro, oft, öfter, es entsteht eine Loopanmutung. Nur ist nie dasselbe
zu sehen, Snow treibt sein Spiel mit der Wiederholungstruktur und ihren
Abweichungsmöglichkeiten. Wohin er es treibt, sagt er im Begleittext,
ist ein Raum des "Zwischen", daher der Titel: das corpus callosum
verbindet die Hirnhemisphären. Genauer aber wäre vielleicht
zu sagen, er treibt seine Bilder, seine Darstellung in einen Raum des "Ver".
Verzerrung, Verschiebung, Verdrehung, oder schlicht: Veränderung. Es
geht um die Repräsentation der Abweichung im Übergang. Was man
spürt, ist diese Bewegung, die im "Ver" liegt, nicht die Stasis des
"Zwischen".
Zwei Spielräume.
Das Büro: Tische, Menschen (die schweigen, die sich berühren,
die herumsitzen), Computer, Fenster im Hintergrund. Immer wieder fährt
das "Ver" hinein in den Raum, die Figuren, zerrend, drehend, zückend,
bindend, färbend. Bilderscherze, einer reicht einem anderen ein Papier,
ein Lichtschein fährt den Mann hinab, die Fahrt eines digital hinein
manipulierten Kopiererschlittens. Zwei berühren sich, ein Lichtblitz
und sie verzerren sich zum hysterischen Bogen. Die Computermonitore verstummen
farbig und korrespondieren den Blusen der Personen im Büro.
Das Wohnzimmer: Der Fernseher, ein ausgestopftes Tier, der Junge,
der Vater (?), die Mutter (?), die grüne Wand, daran die Gitarre, das
Renaissance-Bild, das rote Dreiecksbild und noch mehr Gegenstände. Hinein
fährt die Lust des Regisseurs am Spiel mit den Möglichkeiten des
Digitalen. Das Video-Bild ist eine offene Fläche, die sich dem Zugriff
der Bearbeitung darbietet. Das Video-Bild, sagt Michael Snow, ist seiner
Natur nach instabil, dem "Ver" unterworfen. Eine ausgewachsene Ontologie
im Begleittext, der der Film die Probe aufs Exempel stellen will. Was man
sieht: Spielereien, die das Offenkundige ausstellen: Es lässt sich mit
digitaler Bearbeitung digitaler Bilder allerhand anstellen. Dann wandert,
als schweres, als überdeutliches und zugleich als theoretisch sehr
unscharfes Zeichen, ein nackter Hermaphrodit durchs Bild, setzt sich auf
die Familiencouch, wird digital verzerrt und weiter geht's.
Ein dritter "Spielraum": Die Reflexion, auch sie wird ausgestellt
unübersehbar und sagt vor allem, dass sie reflektiert, was geschieht.
In der Wand, die grün ist, von der die Gegenstände "wie von Zauberhand"
(um es ganz altmodisch auszudrücken; aber Verzauberung findet hier nicht
statt) verschwinden, an die sie zurückkehren, schwupp, ein Spiegel.
Im Spiegel zu sehen die Kamera, der Regisseur, gelegentlich ein Darsteller.
Selbstreflexivität 101. Monitore im Bild ohne Unterlass, die stumpf
sind, die nichts zeigen, keine Fenster mehr zur Welt. (Im Wohnzimmer: Das
Renaissancebild. Der Spiegel, der, in letzter Instanz, die Spiegelung spiegelt,
darin aber die Wahrheit über die Herstellung von Repräsentation
behauptet. Als wäre das Fenster zur Welt nicht eine über Reflexionen
hergestellte "Öffnung", der Schein einer Öffnung, aus dessen
Scheincharakter heraus dann paradox "wahre" Öffnungen entstehen. Die
Verstumpfung des Fensters zum Spiegel ist das selbst verschuldete Verharren
auf der Selbstbespiegelung der Repräsentation.)
Der Ton: Es brummt, pfeift, dazwischen die Anweisungen des Regisseurs.
Auch hier verstopft Snow einfach den paradoxen Spiegelraum der
Repräsentation und behauptet implizit in der Verstellung, dass
Repräsentation als Darstellung von Welt ein Ding der Unmöglichkeit
ist. Wir sollen, sagt er, keinem Bild glauben. Wir sollen ihm keines der
Bilder abnehmen. Das ist leicht gesagt und im Falle von *Corpus Callosum
auch leicht getan. Die wirklich interessanten Fragen der Repräsentation
beginnen allerdings jenseits dieser ermüdenden Exerzitien. Die Reise
ins "Ver" ist ein Ablenkungsmanöver..
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