Die Verfilmung eines Romans von Rabindranath Tagore. Romanhaft - und
zwar im Sinne von nicht novellistisch - sind die Bewegungen der Figuren,
deren Logik nie der Zuspitzung einer Geschichte gehorcht, sondern dem
Rätsel jeder Figur selbst. Zwei Männer, zwei Frauen, das Begehren,
das sich zwischen ihnen verteilt, verschiebt, verbirgt und offenbart, ist
der eigentliche Protagonist. Behari, der für die bengalische
Nationalbewegung aktiv ist, zu Ernst, Lektüre und Askese neigt. Mahendra,
sein bester Freund, mit wenig Sinn fürs Studium. Ashalata, die ungebildete
Frau, die er heiratet, der er zunächst verfällt. Oder genauer:
In ihr scheint er der Lust des Verfallens nachzugeben. Und Binodini, die
keiner der beiden heiraten will. Sie heiratet, anderswo, einen anderen, der
stirbt. So ist sie früh verwitwet, kinderlos, gebildet. Eine dreifache
Bestimmung, zum sozialen Unglück verdammt. Ich bin auch, wird sie am
Ende sagen, aus Fleisch und Blut.
Binodini ist Aishwarya Rai, der Bollywood-Star, bengalisch synchronisiert,
in einer Charakterrolle. Hin- und hergerissen zwischen Übermut und der
ihr von gesellschaftlichen Erwartungen auferlegten Bescheidenheit.
Drängend, zurückweichend. Dann gerät das Begehren ins Zirkulieren.
Mahendra, Ashalatas Mann, verfällt, seinem Hang zum Verfallen erneut
nachgebend, der strahlend schönen Binodini, die es genießt, geliebt
zu werden, aber nicht den Ehebruch. Ashalata ist ihre beste Freundin, sie
wird ihr, als sie Liebesbriefe entdeckt (und Briefe spielen durchweg eine
wichtige Rolle), auf die Spur kommen, aber keine Vorwürfe machen. Sie
wird stattdessen ausweichen, an einen anderen Ort, nach Benares. Binodini
wird gleichfalls fliehen, als Behari sie nicht erhört, der sie wohl
begehrt, aber nicht als einer vor sich dastehen will, der die Gelegenheit
benutzt. Mahendra wird Binodini hinterherreisen; gemeinsam gehen sie dann
nach Benares, wo Ashalata nun schwanger ist. Binodini nimmt Mahendra das
Versprechen ab, sie nicht anzurühren. Er wird zu Ashalata
zurückkehren, Binodini wird Behari noch einmal fragen, aber es geht
nicht aus, wie es ausgehen sollte. Der Zirkel des Begehrens kommt nicht zur
Ruhe, sondern wird gesprengt. Die Inszenierung aber schließt, mit der
Wiederholung einer selbst schon das Zirkuläre suchenden Einstellung,
den Kreis: Der Blick auf ein Treppenhaus, zentral dabei aber die Treppen,
die Architektur, das Statische, nicht die auf den Stufen, im Erdgeschoss
herumeilenden Menschen.
Aus dem Gleichgewicht gerät das Tableau der Figuren aus deren eigenen
Antrieben und Entscheidungen: zur Politik, gegen die von der Gesellschaft
auferlegte Rolle, zum Begehren, gegen den sozialen Ehrgeiz. Vom Realen der
rahmenden Einstellung ins Symbolische eines vor dem Fenster entfernten Baums
wuchert, nicht immer eindeutig bestimmbar, die Differenz von Innen/Außen,
zwischen Beharren und Sehnsucht, Flucht und Insistenz. Weitere Figuren im
Spiel: die Mutter, die Tante. Der Komplexität eilt die Inszenierung
nie schlichtend entgegen. Sie beobachtet, bietet Szenen an, ohne sie zu
erklären, die Musik bricht ein, untermalt, fügt weitere Schichten
hinzu, hat ein in Schönheit strahlendes Eigenleben wie Binodini. Schwer
entzifferbar die mythologischen Anspielungen Tagores, teils von den Figuren
selbst ins Spiel gebracht, um sich verständlicher zu machen - oder
unverständlicher. Bilder von geradezu abweisender Schönheit. Rituparno
Gosh ist ein Teppichknüpfer, an der Textur hat er Interesse, nicht am
disegno.
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