Filmkritik: Rituparno Gosh: Chokher Bali (Indien 2003)

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Rituparno Gosh: Chokher Bali (Indien 2003)

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Rituparno Gosh: Chokher Bali (Indien 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

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Die Verfilmung eines Romans von Rabindranath Tagore. Romanhaft - und zwar im Sinne von nicht novellistisch - sind die Bewegungen der Figuren, deren Logik nie der Zuspitzung einer Geschichte gehorcht, sondern dem Rätsel jeder Figur selbst. Zwei Männer, zwei Frauen, das Begehren, das sich zwischen ihnen verteilt, verschiebt, verbirgt und offenbart, ist der eigentliche Protagonist. Behari, der für die bengalische Nationalbewegung aktiv ist, zu Ernst, Lektüre und Askese neigt. Mahendra, sein bester Freund, mit wenig Sinn fürs Studium. Ashalata, die ungebildete Frau, die er heiratet, der er zunächst verfällt. Oder genauer: In ihr scheint er der Lust des Verfallens nachzugeben. Und Binodini, die keiner der beiden heiraten will. Sie heiratet, anderswo, einen anderen, der stirbt. So ist sie früh verwitwet, kinderlos, gebildet. Eine dreifache Bestimmung, zum sozialen Unglück verdammt. Ich bin auch, wird sie am Ende sagen, aus Fleisch und Blut.

Binodini ist Aishwarya Rai, der Bollywood-Star, bengalisch synchronisiert, in einer Charakterrolle. Hin- und hergerissen zwischen Übermut und der ihr von gesellschaftlichen Erwartungen auferlegten Bescheidenheit. Drängend, zurückweichend. Dann gerät das Begehren ins Zirkulieren. Mahendra, Ashalatas Mann, verfällt, seinem Hang zum Verfallen erneut nachgebend, der strahlend schönen Binodini, die es genießt, geliebt zu werden, aber nicht den Ehebruch. Ashalata ist ihre beste Freundin, sie wird ihr, als sie Liebesbriefe entdeckt (und Briefe spielen durchweg eine wichtige Rolle), auf die Spur kommen, aber keine Vorwürfe machen. Sie wird stattdessen ausweichen, an einen anderen Ort, nach Benares. Binodini wird gleichfalls fliehen, als Behari sie nicht erhört, der sie wohl begehrt, aber nicht als einer vor sich dastehen will, der die Gelegenheit benutzt. Mahendra wird Binodini hinterherreisen; gemeinsam gehen sie dann nach Benares, wo Ashalata nun schwanger ist. Binodini nimmt Mahendra das Versprechen ab, sie nicht anzurühren. Er wird zu Ashalata zurückkehren, Binodini wird Behari noch einmal fragen, aber es geht nicht aus, wie es ausgehen sollte. Der Zirkel des Begehrens kommt nicht zur Ruhe, sondern wird gesprengt. Die Inszenierung aber schließt, mit der Wiederholung einer selbst schon das Zirkuläre suchenden Einstellung, den Kreis: Der Blick auf ein Treppenhaus, zentral dabei aber die Treppen, die Architektur, das Statische, nicht die auf den Stufen, im Erdgeschoss herumeilenden Menschen.

Aus dem Gleichgewicht gerät das Tableau der Figuren aus deren eigenen Antrieben und Entscheidungen: zur Politik, gegen die von der Gesellschaft auferlegte Rolle, zum Begehren, gegen den sozialen Ehrgeiz. Vom Realen der rahmenden Einstellung ins Symbolische eines vor dem Fenster entfernten Baums wuchert, nicht immer eindeutig bestimmbar, die Differenz von Innen/Außen, zwischen Beharren und Sehnsucht, Flucht und Insistenz. Weitere Figuren im Spiel: die Mutter, die Tante. Der Komplexität eilt die Inszenierung nie schlichtend entgegen. Sie beobachtet, bietet Szenen an, ohne sie zu erklären, die Musik bricht ein, untermalt, fügt weitere Schichten hinzu, hat ein in Schönheit strahlendes Eigenleben wie Binodini. Schwer entzifferbar die mythologischen Anspielungen Tagores, teils von den Figuren selbst ins Spiel gebracht, um sich verständlicher zu machen - oder unverständlicher. Bilder von geradezu abweisender Schönheit. Rituparno Gosh ist ein Teppichknüpfer, an der Textur hat er Interesse, nicht am disegno.

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