Eine Geschichte in einer Einstellung, der ersten: Schwarz,
Kampfgeräusche, ein Überfall, ein Mann, der geschlagen wird, eine
offene Tür ins Freie in der Mitte des Bildes, davor, aus dem Off ins
Bild, aus dem Bild ins Off, ein anderer Mann, ein dicker Mann. Eine
Gittertür schließt sich, der dicke Mann, der Räuber, ist
gefangen. Er schießt auf den anderen, er wird nicht entkommen können.
Vor der Tür, jetzt vergittert, sein Komplize, entsetzt, auf- und ablaufend,
Passanten, sich nähernd, sich entferndend, entsetzt, schreiend. Dann
der dicke Mann, Gesicht zur Kamera, vor dem hellen Ausschnitt der Tür,
auf den die Kamera langsam, kaum merklich zoomt, er setzt die Waffe an die
rechte Schläfe. Schuss. Schnitt.
Schnitt. Der dicke Mann auf dem Motorrad. Er lebt, Rückblende.
Eine Szene in einem Café, sein Freund hat eine Handtasche gefunden,
sie untersuchen ihre Beute, darin eine Quittung für ein teures
Schmuckstück. Ein älterer Mann setzt sich an den Tisch, glaubt,
sie sind Diebe, hält ihnen einen Vortrag über die Ethik ihres
vermeintlichen Berufs. Ehrlichkeit macht den erfolgreichen Dieb, sagt er.
Hussein und Ali - sie haben jetzt Namen - machen sich auf zu dem Juwelier,
er lässt sie nicht einmal in den Laden. Zweimal noch werden sie
zurückkehren in das Geschäft, einmal unter dem Vorwand, eine Halskette
zu kaufen für Husseins Verlobte, die Alis Schwester ist. Der Juwelier
wird sie freundlich hinauskomplimentieren, in die Unterstadt schicken, zum
Basar, wo es die billige Ware gibt.
"Crimson Gold" ist auch ein Film über die soziale Topographie
Teherans. Die reiche Oberstadt, die arme Unterstadt, zwischen denen der Pizzabote
Hussein als Grenzgänger agiert, ohne natürlich jemals die unsichtbare
Grenze des Sozialen überschreiten zu können. Ein Film über
Zirkulation und was sie unmöglich macht - nicht nur die gesellschaftlichen,
und alles andere als feinen Unterschiede. Einmal, als Hussein und Ali, wie
so oft, auf dem Moped unterwegs sind durch die vom Verkehr
überfüllten Straßen der Stadt, ist die Rede davon, dass Geld
notwendig zirkulieren muss, um seine Funktion zu erfüllen. Kurz darauf
ein Beinahe-Stau im Verkehr, ein Polizist ruft: Weiterfahren, weiterfahren,
die französischen Untertitel: Circulez, circulez, es ist anzunehmen,
dass Kiarostamis Drehbuch hier gleichfalls dasselbe Wort benutzt. Auch das
Gespräch mit dem Juwelier: legt das Geld nicht in italienischen Schmuck
an, der ist kaum wiederzuverkaufen, investiert in Gold, das neutral ist wie
Geld. Es geht, in diesem Film, der Kapitalismus, Geld- und Straßenverkehr
in der Bewegung zusammendenkt, immer auch um das Stocken dieser Bewegung,
das Feststecken, nicht zuletzt als Kumulation, die allen Verkehr zum Stillstand
bringt.
In der Ansammlung sinnlosen Reichtums zum Beispiel, wie in der letzten
Episode, in der Hussein, der Pizzaausträger, in einem Palast landet,
darin ein neurotischer Sohn vermögender Eltern. Er lädt, von seiner
Freundin gerade allein zu Haus zurückgelassen, Hussein ein, mit ihm
die ausgelieferte Pizza zu essen. Hussein erkundet den Palast, während
Pourang, der Sohn, dessen Eltern in Amerika sind, telefoniert, mit der Freundin.
Hussein rasiert sich mit dem Rasierzeug Pourangs. Hussein bedient sich aus
dem Kühlschrank, betrinkt sich. Hussein findet den Swimmingpool des
Hauses, lange, endlos lange steht er am Beckenrand, dann springt er hinein.
Kiarostami zitiert Renoirs "Boudu", Fisch
aus dem Wasser, rettungslos am falschen Ort (aber einen richtigen gibt es
nicht), über sieben Jahrzehnte hinweg, Paris, Teheran, es lassen sich
noch immer dieselben Geschichten erzählen. Diese geht blutig aus.
Zuvor schon ein gescheiterter Pizza-Auftrag, diesmal eine Lieferung
in ein Haus, in dem die Jeunesse Doree feiert, davor die Polizei als
Soldateska. Hussein darf nicht hinein und er darf, über Stunden, nicht
weg. Er sitzt fest. Jafar Panahi sagt danach im Publikumsgespräch: Ich
habe die Behörden gefragt, warum der Film nicht im Iran gezeigt werden
darf. Mann rennt da schnell gegen eine Wand, sagt er. Hussein, in einer ganz
ähnlichen Situation, bekommt keine Auskunft, nur den barschen Befehl,
Ruhe zu geben, sich nicht vom Ort zu bewegen. Er kommt ins Gespräch
mit einem Soldaten, der viel zu jung ist für den Job, dann verteilt
er seine Pizza an die Polizisten. Junge Leute, die aus dem Haus kommen, werden
abgeführt, ohne Angabe von Gründen. Der Abbruch der Zirkulation,
hier, schlicht und ergreifend, mit Polizeistaatsmethoden: Freiheitsberaubung.
Jafar Panahi wurde beim letzten Einreiseversuch in die USA elf Stunden lang
angekettet in einer Zelle festgehalten, dann hat man ihn nach Hongkong
deportiert. Abbas Kiarostami wurde im letzten Herbst die Einreise zum New
Yorker Filmfest verweigert. Er ist aus dem Iran, er ist einer der meist
gefeierten Regisseure der Welt.
Die Rückblendenstruktur, könnte man glauben, ist
Erklärungsstruktur. Die Vorgeschichte, die zuletzt wieder in die
Anfangsbilder münden wird (wie in Panahis
"Der Kreis"), zeigt, wie es zu Husseins
Tat gekommen ist. Das jedoch ist keineswegs so einfach. "Crimson Gold" zeigt
Szenen, die die Tat plausibel machen, aber nicht notwendig. Vor allem bleibt
Hussein, der vom schizophrenen Pizzaboten Hussein gespielt wird, vollkommen
erratisch. Er zeigt Verhalten, aber alle Versuche, aus ihm schlau zu werden,
prallen an seinem Körperpanzer (ein weicher Panzer, aber ein Panzer)
ab. Er leidet, aber er sagt nicht warum und man ahnt nicht, wie sehr. Er
wirkt unbeteiligt und ist es nicht - mutmaßt man dann. Er ist die
Verkörperung, um es tentativ zu summieren, der Verhinderung von Zirkulation.
Noch die Tat ist, als Raub, ganz und gar unsinnig. Er schießt
auf den Juwelier, als sich das Gitter schon geschlossen hat. Er sucht
die ausweglose Lage. Das Ende in einem Käfig. Diese Geschichte
geht blutig aus.
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