Anmerkung: Heimat 3 besteht in der Kinofassung aus sechs Folgen von
unterschiedlicher Länge, zwischen 100 und 130 Minuten. Die Fernsehfassung
ist auf sechs Folgen von jeweils neunzig Minuten gekürzt. Die Berliner
Premiere, auf der ich die Filme gesehen habe, ist in zwei Vorführungen
geteilt. Die ersten drei Filme wurden am Sonntag, den 3.10. gezeigt. Auf
sie bezieht sich dieser erste Teil der Kritik:
Setzung eines neuen Anfangs, tolldreiste Verquickung des Politischen und
Privaten: Die Mauer fällt, Hermann und Clarissa sehen sich wieder, nach
17 Jahren, vor dem Fernseher, in dem die Mauer fällt, Augen haben die
beiden dann nur noch für einander, aber der Fernseher läuft weiter,
draußen ist Berlin, drinnen das Paar, das sich wieder hat. Reitz will
beides im Blick behalten. Er erfindet sich und seinen Protagonisten einen
Rückzugsort, an dem alles zusammenkommen soll: die erste Heimat, Schabbach,
die so nahe liegt wie der Rhein, der mächtig dahinfließt, zu
Füßen des Hauses, das gebaut werden soll. Das Paar, Hermann, Clarissa,
die zusammenziehen auf immer und ewig. Importiert für den Hausbau -
der seine metaphorischen Züge natürlich verleugnen weder kann noch
will - werden aus dem Osten Handwerker, Gunnar, Udo, Tobi, Typen, wie sie
sich nur Thomas Brussig ausdenken konnte. Das Schicksal, das versteht sich
von selbst, spielt ihnen allen mit. Das Schicksal ist eine Macht am Rhein,
aber in der Zweiten Heimat habe ich es Reitz durchgehen lassen (mehr als
das), den hohen Ton, die Trauer, den Ernst, das Walten und Wirken, das durch
die mythische Selbstüberhöhung des Aufbruchs der Jugend gedeckt
war: als unser aller Traum vom Großen, das aus uns wird.
Auf dem hohen Ton der zweiten Serie setzt Reitz ein, in Monologen aus dem
Off, in Dialogen, die jene Grenze berühren, jenseits derer der saure
Kitsch, das hohle Pathos liegen - und die Größe des Gelingens
maß sich ja in der Zweiten Heimat gerade an der vermeintlichen
Unabwendbarkeit des Absturzes und seinem Ausbleiben. Das aber, das Pathos
in Schwarz-Weiß, verliert sich bald. Brussig übernimmt das
Drehbuch-Kommando, ein ganz anderer Ton: Witz, bis ins Zotige, dagegen kommt
die große Liebe der Künstler kaum noch an. Berührung sehr
fremder Welten, Hunsrück und Sachsen, die Kunst, die Blutwurst, der
Hausbau. Fremd liegt manchmal die Musik von Nikos Mamangakis über den
Bildern, die die Distanz suchen, in die Natur fliehen und doch sehr bald
wieder zurückkehren. Sie finden dann die Weltmeisterschaft von 1990,
Gunnar im Brehme-Trikot, der die Frau verliert und einen neuen Aufbruch sucht
in Berlin, Mauerstücke verkloppt an die Amerikaner von Warner Brothers.
Überraschenderweise geht es sich aus, mehr oder weniger, in den ersten
beiden Filmen: der Brussig-Ton, der Reitz-Ton, das Haus als Vereinigungs-
und Neuanfangs-Metapher. Sehr klug der Bezug auch auf die Günderode,
die das Haus gebaut haben soll, eine Geschichte aber, die sogleich als falscher
Mythos entlarvt wird. Falsche Mythen, als falsche weitergelebte, solche,
in denen man sich einrichtet im verlorenen Glauben daran, darum geht es dieser
dritten Heimat durchaus. Der Abschied, der in der Rückkehr liegt, ist
ein sehr viel unhintergehbarer als der einstige Aufbruch nach München.
Alle Illusionen liegen auch schon hinter der Setzung eines Neubeginns. Hermann
und Clarissa wissen, was sie tun, sie richten sich ein in ihrem Haus, das
schnell zum sehr bürgerlichen, ja spießigen Domizil wird.
Der dritte Film aber verhaspelt sich dann, will zu viel auf einmal, findet
keine Struktur mehr und ersetzt sie durch Kolportage. Es werden Deutschrussen
nach Schabbach geholt, Hermanns Bruder Ernst, aufgebrochen als dubioser
Kunstkäufer, kehrt geläutert aus Russland zurück,
Familienstreitigkeiten, ein doppelter Ehebruch, ein Stippvisite nach Leipzig,
bei der ein paar Neonazis durchs Bild laufen, Clarissa erkrankt und manches
mehr. Das ist weniger "Heimat" als ein Dieter-Wedel-Film, kein epischer Atem,
sondern ein Hasten von plot point zu plot point, noch dazu ohne Wedels
großes Geschick in der dramaturgischen Runderneuerung anderswo geklauter
Versatzstücke. Die erste Hälfte bricht ab mit einer Reihe offener
Enden, aber vielleicht erweist sich vom Weiteren her die dritte als
Zwischenfolge, in der neue Anfänge gesetzt werden, die sich in der zweiten
Hälfte mit mehr Geduld entwickeln dürfen. Ich bin gespannt.
Folge 4 bis 6
"Allen geht's gut", so der Titel des vierten und längsten Films. Ein
ironischer Titel, alles steht mit einem Mal im Zeichen der Vergänglichkeit.
In einer der immer seltener werdenden Schwarz-Weiß-Passagen tritt ein
alter, sehr alter Mann auf, der die Stunden zählt zum Jahrtausendwechsel
(mit dem die Serie dann enden wird). Durchgehalten wird ein unterdrückt
drohendes Muskmotiv, konsequenter als in den anderen Filmen von Heimat
3. Überhaupt sind das vielleicht die größten Momente:
Wenn die Bilder alltäglicher Bewegung zugleich konterkariert und aufgeladen
werden durch die kaum einmal schroffen, aber doch allen Realismus austreibenden,
ins Atonale spielenden Musik. Es gibt davon viel zu wenig, die zuständigen
Fernsehredakteure wird es dennoch grausen.
Kaum einmal aber wird die Musik zuende gespielt, am ehesten noch die
eher grässlichen Crossover-Experimente Clarissas, die dafür allerdings
mit Krankheit hart bestraft wird. Wunderschön die Günderode-Lieder,
in Wahrheit von Wolfgang Rihm komponiert, man wünscht sich mehr, viel
mehr davon, sie werden viel zu schnell vom Strudel der Narration verschluckt.
Dieser Strudel wirbelt unterschiedlich stark, die schönsten Ruhemomente
hat Folge vier, die trostlose Beerdigung des Familienpatriarchen Anton, das
Gespräch auf dem Fußballplatz davor, Hermann und Anton im
Wechselschritt. Anders als in der Zweiten Heimat, die sich Zeit ließ
für einzelne Figuren, ihnen folgte, egal wohin, passioniert, zum
Äußersten an Fernsehvergessenheit fähig, regiert hier immer
wieder der Plot.
Es ist manchen der Figuren anzumerken, dass Reitz sich nicht für sie
interessiert, dass sie nur da sind, damit man was an sie hinhängen kann,
Geschichte und Geschichten. Fatalerweise gilt das auch, wenn nicht sogar
in erster Linie immer wieder fürs Zentralpaar Hermann und Clarissa.
Zur Leidenschaft füreinander fällt Reitz und Brussig nichts ein
als das eine oder andere Klischee, also schicken sie Clarissa den Krebs auf
den Hals, weil doch was passieren muss. Die Zeit, die Geduld, die aufs
Existenzielle gestellte Liebe zur Musik, die die Zweite Heimat zum
Erlebnis machten: dahin, auf Spurenelemente reduziert. Auf diese
Enttäuschungen aber folgt ein schönes Ende, eine Apokatastasis
an Silvester, die mutige Setzung eines Endes wieder, an dem Jahrtausend und
Liebe und Vergangenheit und Zukunft im Günderode-Haus zusammentreffen,
bis zum Schlussbild, das Hermanns Tochter zeigt, ihr Gesicht hinterm Fenster,
als wäre daran anzuknüpfen.
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