Filmkritik: Edgar Reitz: Heimat 3 (D 2004)

.

Jump Cut
__________________
Jump Cut Filmkritik

Impressum

 

 


.

Edgar Reitz: Heimat 3 (D 2004)

IMDB-Eintrag
 

Jump Cut Directory

Animationsfilm
Archiv
DVD-Info

FAQ
Festivals
Filmbuch
Forum
Impressum
Interviews

Klassiker
Kunst, Video
Kurzkritiken
Midnite Movies (demnächst)
News
Ozu
Reportagen
Schwerpunkt Asien: Bollywood
Schwerpunkt Asien: Hongkong
Schwerpunkt Asien: Japan
Schwerpunkt Asien: Südkorea
Schwerpunkt Australien / Neuseeland
Schwerpunkt Deutschland
Service (Links & mehr)
Theaterfilme
Der unsichtbare Film
Veranstaltungshinweise
Weblog
Webwatch
Extern: Comics
Extern: Krimis
Extern: Lexikon der Regisseure
Extern: Literaturkritik
Extern: Theater
.
.

.

Edgar Reitz: Heimat 3 (D 2004)
Kritik von Ekkehard Knörer

 [Image]

3 DVDs jetzt bei Amazon vorbestellen!

 

Anmerkung: Heimat 3 besteht in der Kinofassung aus sechs Folgen von unterschiedlicher Länge, zwischen 100 und 130 Minuten. Die Fernsehfassung ist auf sechs Folgen von jeweils neunzig Minuten gekürzt. Die Berliner Premiere, auf der ich die Filme gesehen habe, ist in zwei Vorführungen geteilt. Die ersten drei Filme wurden am Sonntag, den 3.10. gezeigt. Auf sie bezieht sich dieser erste Teil der Kritik:

Setzung eines neuen Anfangs, tolldreiste Verquickung des Politischen und Privaten: Die Mauer fällt, Hermann und Clarissa sehen sich wieder, nach 17 Jahren, vor dem Fernseher, in dem die Mauer fällt, Augen haben die beiden dann nur noch für einander, aber der Fernseher läuft weiter, draußen ist Berlin, drinnen das Paar, das sich wieder hat. Reitz will beides im Blick behalten. Er erfindet sich und seinen Protagonisten einen Rückzugsort, an dem alles zusammenkommen soll: die erste Heimat, Schabbach, die so nahe liegt wie der Rhein, der mächtig dahinfließt, zu Füßen des Hauses, das gebaut werden soll. Das Paar, Hermann, Clarissa, die zusammenziehen auf immer und ewig. Importiert für den Hausbau - der seine metaphorischen Züge natürlich verleugnen weder kann noch will - werden aus dem Osten Handwerker, Gunnar, Udo, Tobi, Typen, wie sie sich nur Thomas Brussig ausdenken konnte. Das Schicksal, das versteht sich von selbst, spielt ihnen allen mit. Das Schicksal ist eine Macht am Rhein, aber in der Zweiten Heimat habe ich es Reitz durchgehen lassen (mehr als das), den hohen Ton, die Trauer, den Ernst, das Walten und Wirken, das durch die mythische Selbstüberhöhung des Aufbruchs der Jugend gedeckt war: als unser aller Traum vom Großen, das aus uns wird.

Auf dem hohen Ton der zweiten Serie setzt Reitz ein, in Monologen aus dem Off, in Dialogen, die jene Grenze berühren, jenseits derer der saure Kitsch, das hohle Pathos liegen - und die Größe des Gelingens maß sich ja in der Zweiten Heimat gerade an der vermeintlichen Unabwendbarkeit des Absturzes und seinem Ausbleiben. Das aber, das Pathos in Schwarz-Weiß, verliert sich bald. Brussig übernimmt das Drehbuch-Kommando, ein ganz anderer Ton: Witz, bis ins Zotige, dagegen kommt die große Liebe der Künstler kaum noch an. Berührung sehr fremder Welten, Hunsrück und Sachsen, die Kunst, die Blutwurst, der Hausbau. Fremd liegt manchmal die Musik von Nikos Mamangakis über den Bildern, die die Distanz suchen, in die Natur fliehen und doch sehr bald wieder zurückkehren. Sie finden dann die Weltmeisterschaft von 1990, Gunnar im Brehme-Trikot, der die Frau verliert und einen neuen Aufbruch sucht in Berlin, Mauerstücke verkloppt an die Amerikaner von Warner Brothers. Überraschenderweise geht es sich aus, mehr oder weniger, in den ersten beiden Filmen: der Brussig-Ton, der Reitz-Ton, das Haus als Vereinigungs- und Neuanfangs-Metapher. Sehr klug der Bezug auch auf die Günderode, die das Haus gebaut haben soll, eine Geschichte aber, die sogleich als falscher Mythos entlarvt wird. Falsche Mythen, als falsche weitergelebte, solche, in denen man sich einrichtet im verlorenen Glauben daran, darum geht es dieser dritten Heimat durchaus. Der Abschied, der in der Rückkehr liegt, ist ein sehr viel unhintergehbarer als der einstige Aufbruch nach München. Alle Illusionen liegen auch schon hinter der Setzung eines Neubeginns. Hermann und Clarissa wissen, was sie tun, sie richten sich ein in ihrem Haus, das schnell zum sehr bürgerlichen, ja spießigen Domizil wird.

Der dritte Film aber verhaspelt sich dann, will zu viel auf einmal, findet keine Struktur mehr und ersetzt sie durch Kolportage. Es werden Deutschrussen nach Schabbach geholt, Hermanns Bruder Ernst, aufgebrochen als dubioser Kunstkäufer, kehrt geläutert aus Russland zurück, Familienstreitigkeiten, ein doppelter Ehebruch, ein Stippvisite nach Leipzig, bei der ein paar Neonazis durchs Bild laufen, Clarissa erkrankt und manches mehr. Das ist weniger "Heimat" als ein Dieter-Wedel-Film, kein epischer Atem, sondern ein Hasten von plot point zu plot point, noch dazu ohne Wedels großes Geschick in der dramaturgischen Runderneuerung anderswo geklauter Versatzstücke. Die erste Hälfte bricht ab mit einer Reihe offener Enden, aber vielleicht erweist sich vom Weiteren her die dritte als Zwischenfolge, in der neue Anfänge gesetzt werden, die sich in der zweiten Hälfte mit mehr Geduld entwickeln dürfen. Ich bin gespannt.

Folge 4 bis 6

"Allen geht's gut", so der Titel des vierten und längsten Films. Ein ironischer Titel, alles steht mit einem Mal im Zeichen der Vergänglichkeit. In einer der immer seltener werdenden Schwarz-Weiß-Passagen tritt ein alter, sehr alter Mann auf, der die Stunden zählt zum Jahrtausendwechsel (mit dem die Serie dann enden wird). Durchgehalten wird ein unterdrückt drohendes Muskmotiv, konsequenter als in den anderen Filmen von Heimat 3. Überhaupt sind das vielleicht die größten Momente: Wenn die Bilder alltäglicher Bewegung zugleich konterkariert und aufgeladen werden durch die kaum einmal schroffen, aber doch allen Realismus austreibenden, ins Atonale spielenden Musik. Es gibt davon viel zu wenig, die zuständigen Fernsehredakteure wird es dennoch grausen.

Kaum einmal aber wird die Musik zuende gespielt, am ehesten noch die eher grässlichen Crossover-Experimente Clarissas, die dafür allerdings mit Krankheit hart bestraft wird. Wunderschön die Günderode-Lieder, in Wahrheit von Wolfgang Rihm komponiert, man wünscht sich mehr, viel mehr davon, sie werden viel zu schnell vom Strudel der Narration verschluckt. Dieser Strudel wirbelt unterschiedlich stark, die schönsten Ruhemomente hat Folge vier, die trostlose Beerdigung des Familienpatriarchen Anton, das Gespräch auf dem Fußballplatz davor, Hermann und Anton im Wechselschritt. Anders als in der Zweiten Heimat, die sich Zeit ließ für einzelne Figuren, ihnen folgte, egal wohin, passioniert, zum Äußersten an Fernsehvergessenheit fähig, regiert hier immer wieder der Plot.

Es ist manchen der Figuren anzumerken, dass Reitz sich nicht für sie interessiert, dass sie nur da sind, damit man was an sie hinhängen kann, Geschichte und Geschichten. Fatalerweise gilt das auch, wenn nicht sogar in erster Linie immer wieder fürs Zentralpaar Hermann und Clarissa. Zur Leidenschaft füreinander fällt Reitz und Brussig nichts ein als das eine oder andere Klischee, also schicken sie Clarissa den Krebs auf den Hals, weil doch was passieren muss. Die Zeit, die Geduld, die aufs Existenzielle gestellte Liebe zur Musik, die die Zweite Heimat zum Erlebnis machten: dahin, auf Spurenelemente reduziert. Auf diese Enttäuschungen aber folgt ein schönes Ende, eine Apokatastasis an Silvester, die mutige Setzung eines Endes wieder, an dem Jahrtausend und Liebe und Vergangenheit und Zukunft im Günderode-Haus zusammentreffen, bis zum Schlussbild, das Hermanns Tochter zeigt, ihr Gesicht hinterm Fenster, als wäre daran anzuknüpfen.

3 DVDs jetzt bei Amazon vorbestellen!

zur Jump-Cut-Startseite

.
 .
Google
Web Jump Cut

 

Anzeige