Die Auswahl, die Mrinal Sen aus hundert Jahren indischen Kinos
trifft, und damit aus mehr als 30.000 in dieser Zeit entstandenen Filmen,
begründet sich nicht explizit aus einem Argument, sondern ergibt durch
die Wahl implizit selbst eines. Überraschend ist es nicht. Erst das
Pflichtprogramm der Frühgeschichte (Phalke), aus der es ganz atemberaubende
Bilder gibt, den Kampf mit einer mythischen Schlange etwa, der einem große
Lust macht, etwas davon aufzutreiben. Etwas erratisch geht es weiter, "Mother
India" kommt vor, natürlich, aber auch Beispiele der anderen großen
kommerziellen Kinematografien Indiens neben der von Bombay.
Das erste Bild überhaupt, kein Wunder: Pather Panchali, Geburt
des "Parallel Cinema" (wie es später heißen wird), dem dann auch
Mrinal Sen sich zurechnen wird. Von 1955 an, nachdem Guru Dutt und Raj Kapoor
abgehandelt sind, wird sich entsprechend seine Geschichte des indischen Kinos
von der Bühne Bollywood zurückziehen, weitgehend, und den Realismus
feiern. Das ist das - im Grunde überaus schlichte - Programm des "Parallel
Cinema": Feier des des Realismus, Verdammung, jedenfalls: Geringschätzung,
des Unterhaltungsfilms, weil er ihn verweigert. Sehr schön und emblematisch
wird das ganz am Ende deutlich, in einem im nachhinein montierten
Streitgespräch zwischen Mrinal Sen selbst und Mani Ratnam, der etwas
wie die Synthese der beiden Tendenzen des indischen Kinos darstellt (und
wie sehr noch das "Parallel Cinema" von der Schnitt-, Kamera-, Musik-Grammatik
Bollywoods zehrt, das ist in den gewählten Ausschnitten leicht zu sehen).
Es fehlt das Augen für den genialen Synkretismus Ratnams, stattdessen,
hier wieder - bei aller offenkundigen Wertschätzung - der Vorwurf: nicht
sozial, nicht real genug. Lange dauert es auch, fast bis zum Schluss, bis
Amitabh Bachchan seinen ersten Auftritt hat. Widerwillig wird im Platz, werden
ihm Bilder eingeräumt, nicht aus einem Klassiker, sondern "Coolie" von
1988.
Methodisch ist das nicht Godard, aber auch nicht so unsäglich
eitel wie Nagisa Oshimas Beitrag zur selben Serie. Es gibt eine fragmentierte
und nur als fragmentierte kontinuierliche Narration, dazwischen talking heads,
Stimmen, Köpfe, Einschätzungen, Ansichten, die divergieren.
Filmausschnitte, die kaum einmal kommentiert werden, für sich sprechen
sollen. Oder tanzen. Sie sind, wenn nicht exemplarisch, so doch klug
gewählt, machen Lust auf mehr.
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