Filmkritik: Lisandro Alonso: Los Muertos (Argentinien 2004)

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Lisandro Alonso: Los Muertos (Argentinien 2004)

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Lisandro Alonso: Los Muertos (Argentinien 2004)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

Minutenlang durch einen Dschungel aus Grün und Licht, eine Plansequenz, die Kamera gleitet wie ein geschmeidiges Tier durchs Unterholz, das Blätterdach bleibt in der Unschärfe, verschwimmt zu einem Lichtnetz aus Weiß und Grün. Wie zufällig fällt dann der Blick, auf dem Boden, in der Schärfe, auf eine jugendliche Leiche, später eine weitere, später auf den Mörder, genauer gesagt: auf den Arm, die Hand, darin die Machete. Nach dieser Sequenz schließt sich das Lichtnetz zum undurchdringlichen Grün, das die Leinwand füllt, ein paar Sekunden.

Vargas, der fast schon alte Mann, der in der Jugend seine Brüder getötet hat, wird aus dem Gefängnis entlassen. Nüchtern, kommentarlos beobachtet ihn die Kamera. Er arbeitet, er unterhält sich ein wenig mit Mitgefangenen, wird bedroht, wird frisiert, rasiert sich. Wenig, sehr wenig wird gesprochen, die Kamera hat alle Fluidität der ersten, ins Grün mündenden Einstellung verloren, überlässt sich nach dem ins Traumhafte verschwimmenden Lichtgrün des Beginns ganz dem Präsens Indikativ, bis zum Schluss, zum letzten Ende, an dem sich nichts klärt. Der Bruch ist entschieden, ja radikal. Nichts verbindet den Beginn und den Fortgang, keine Erklärung, keine narrative Brücke, dazwischen liegt nichts als das Grün des Vergessens. Keine Spekulation, kein Konjunktiv, zu sehen ist nur, was zu sehen ist. Ein Mann der frisiert wird, ein Mann, der aus dem Gefängnis entlassen wird und sich aufmacht, zu einer Reise, den Fluss hinab, in den Dschungel.

Der Blick der Kamera wird sich nicht mehr ins Unscharfe verlieren, aber er wird abschweifen, von Vargas, dem fast sprachlosen Protagonisten, weg, davon, nach oben, in den Himmel, der Pickup, aus dem Vargas gerade ausgestiegen ist, entfernt sich, die Kamera, verharrt auf der Ladefläche, schwenkt langsam nach oben, erst sind noch, am Straßenrand, Bäume, Zweige im Bild, dann nur noch der Himmel, die Bewegung, Natur, die nichts erklärt, deren Existenz mit der gleichen Interesselosigkeit zur Kenntnis genommen wird wie Vargas. Präsens Indikativ: Dies ist der Himmel. Das sind die Wolken.

Das ist Vargas, auf dem Fluss. Die Kamera gleitet mit dem Boot, den Fluss hinab, einmal schweift sie davon, ins Braune des Wassers, verharrt hier eine Weile. Das ist das Wasser, das ist das Ufer. Und das ist Vargas, der den Bienen den Honig stiehlt. Er zündet ein Feuer an, räuchert den Stock aus, bald darauf schleckt er den Honig aus den Waben. Ein Mann, der weiß, was er tut, nach all den Jahren. Ein Schock, in der Beiläufigkeit, mit der es gefilmt wird: Vargas packt eine Ziege, die am Ufer grast, schneidet ihr mit der Machete den Hals durch, weidet sie aus, wortlos, jede Bewegung sitzt, ein Mann, der weiß, was er tut.

Die Bewegung, den Fluss hinab, hat ein Ziel, Vargas sucht seine Tochter, in der Stadt hat er ihr ein Kleid gekauft. Erst gelangt er zu einer Familie, die ihn weiter weist, weiter hinein in den Dschungel, einen Flussarm hinab. Vargas trifft auf seinen Enkel, seine Enkelin, eine provisorische Behausung mit Plastikhülle. Dann stockt der Film, endet in einem Stocken, hat sich festgefressen, ohne Erklärung, ohne Ziel, in einer Einstellung, Kontrafaktur des Beginns. Vom Fluiden ins Starre, Ende einer Bewegung, einer Flussfahrt, keine Erlösung, nichts: Blick auf den Sand, zwei Spielzeugfiguren, Geräusche im Hintergrund, ein Küken, eine Wachtel laufen durchs Bild. Indikativ Präsens: Hier endet alles. Unerklärt.

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