Minutenlang durch einen Dschungel aus Grün und Licht, eine Plansequenz,
die Kamera gleitet wie ein geschmeidiges Tier durchs Unterholz, das
Blätterdach bleibt in der Unschärfe, verschwimmt zu einem Lichtnetz
aus Weiß und Grün. Wie zufällig fällt dann der Blick,
auf dem Boden, in der Schärfe, auf eine jugendliche Leiche, später
eine weitere, später auf den Mörder, genauer gesagt: auf den Arm,
die Hand, darin die Machete. Nach dieser Sequenz schließt sich das
Lichtnetz zum undurchdringlichen Grün, das die Leinwand füllt,
ein paar Sekunden.
Vargas, der fast schon alte Mann, der in der Jugend seine Brüder
getötet hat, wird aus dem Gefängnis entlassen. Nüchtern,
kommentarlos beobachtet ihn die Kamera. Er arbeitet, er unterhält sich
ein wenig mit Mitgefangenen, wird bedroht, wird frisiert, rasiert sich. Wenig,
sehr wenig wird gesprochen, die Kamera hat alle Fluidität der ersten,
ins Grün mündenden Einstellung verloren, überlässt sich
nach dem ins Traumhafte verschwimmenden Lichtgrün des Beginns ganz dem
Präsens Indikativ, bis zum Schluss, zum letzten Ende, an dem sich nichts
klärt. Der Bruch ist entschieden, ja radikal. Nichts verbindet den Beginn
und den Fortgang, keine Erklärung, keine narrative Brücke, dazwischen
liegt nichts als das Grün des Vergessens. Keine Spekulation, kein
Konjunktiv, zu sehen ist nur, was zu sehen ist. Ein Mann der frisiert wird,
ein Mann, der aus dem Gefängnis entlassen wird und sich aufmacht, zu
einer Reise, den Fluss hinab, in den Dschungel.
Der Blick der Kamera wird sich nicht mehr ins Unscharfe verlieren, aber er
wird abschweifen, von Vargas, dem fast sprachlosen Protagonisten, weg, davon,
nach oben, in den Himmel, der Pickup, aus dem Vargas gerade ausgestiegen
ist, entfernt sich, die Kamera, verharrt auf der Ladefläche, schwenkt
langsam nach oben, erst sind noch, am Straßenrand, Bäume, Zweige
im Bild, dann nur noch der Himmel, die Bewegung, Natur, die nichts erklärt,
deren Existenz mit der gleichen Interesselosigkeit zur Kenntnis genommen
wird wie Vargas. Präsens Indikativ: Dies ist der Himmel. Das sind die
Wolken.
Das ist Vargas, auf dem Fluss. Die Kamera gleitet mit dem Boot, den Fluss
hinab, einmal schweift sie davon, ins Braune des Wassers, verharrt hier eine
Weile. Das ist das Wasser, das ist das Ufer. Und das ist Vargas, der den
Bienen den Honig stiehlt. Er zündet ein Feuer an, räuchert den
Stock aus, bald darauf schleckt er den Honig aus den Waben. Ein Mann, der
weiß, was er tut, nach all den Jahren. Ein Schock, in der
Beiläufigkeit, mit der es gefilmt wird: Vargas packt eine Ziege, die
am Ufer grast, schneidet ihr mit der Machete den Hals durch, weidet sie aus,
wortlos, jede Bewegung sitzt, ein Mann, der weiß, was er tut.
Die Bewegung, den Fluss hinab, hat ein Ziel, Vargas sucht seine Tochter,
in der Stadt hat er ihr ein Kleid gekauft. Erst gelangt er zu einer Familie,
die ihn weiter weist, weiter hinein in den Dschungel, einen Flussarm hinab.
Vargas trifft auf seinen Enkel, seine Enkelin, eine provisorische Behausung
mit Plastikhülle. Dann stockt der Film, endet in einem Stocken, hat
sich festgefressen, ohne Erklärung, ohne Ziel, in einer Einstellung,
Kontrafaktur des Beginns. Vom Fluiden ins Starre, Ende einer Bewegung, einer
Flussfahrt, keine Erlösung, nichts: Blick auf den Sand, zwei
Spielzeugfiguren, Geräusche im Hintergrund, ein Küken, eine Wachtel
laufen durchs Bild. Indikativ Präsens: Hier endet alles. Unerklärt.
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