Jump Cuts sind eine Irritationsmaßnahme, ein mutwilliger Eingriff
in den normalen Lauf der Dinge, Widerstand gegen jene Form des Schnitts,
die ihr Tun verbirgt und sich als Übergang vom einen Bild zum anderen
so unsichtbar macht, dass man denken könnte, es gebe nichts als die
Bilder und dazwischen sozusagen nur einen logischen oder grammatischen Operator,
der aber Bilder zu einem Film verbindet wie, sagen wir (um aber alle
einschlägigen Theorie-Diskussionen zum Thema gleich wieder links liegen
zu lassen), die Regeln der Grammatik die Wörter zu einem Satz verbinden.
Sichtbar werden diese Regeln nur im Verstoß und im Stolpern, und genau
so ist es mit dem Jump Cut, der ein Sprachfehler, ein Stolpern des Films
ist, da jedenfalls, wo er nicht experimentell ist (und Experimentalfilm
heißt ja genau das bewusste Stolpern, das Suchen nach den Fehlern,
die sich als das Sichtbarwerden der Geschäftsgrundlagen des Funktionierens
des Normalen erweisen. Mancher Experimentalfilmer oder Theoretiker des
Experimentalfilms verwechselt das Sichtbarmachen der Geschäftsgrundlagen
mit der Wahrheit und ihr Unsichtbarmachen im Normalen mit der Lüge,
dabei ist das Normale nur Sache der Technik und ihrer Anwendung, eine Kunst
des Ausblendens der Operationsweisen, ein Verzicht auch auf Reflexion der
Geschäftsgrundlagen im Dienst der Repräsentation).
Das ist jetzt ein etwas langer Anlauf zu einem allerdings auch nicht kurzen
(aber sehr kurzweiligen) Film, nämlich Arnaud Desplechins "Rois et Reine",
Könige und Königin. In diesem Film passiert, wie man so sagt, eine
ganze Menge, aber vielleicht sollte man wirklich mit dem Jump Cut beginnen.
Der nämlich taucht hier auf, leise wie selten, immer wieder, kaum geschehen,
schon vorbei. Eine behutsame Irritationsmaßnahme, nicht mehr als ein
Blinzeln. "Rois et Reine" ist ein Film, der vor sich hinblinzelt, der einen
anblinzelt, aber nicht, um einen plump ins Vertrauen zu ziehen, sondern wie
man blinzelt beim Erwachen oder vielleicht auch dann, wenn man nicht recht
weiß, ob das, was man sieht und erlebt, jetzt ein Traum ist oder
Wirklichkeit. "Rois et Reine" ist ein Film, der kein Halten kennt, bei aller
Behutsamkeit, zwischen Traum und Wirklichkeit, in dem die ungeheuerlichsten
Dinge wie nebenbei geschehen, und keiner ist da, der einem das alles
erklärt, diese Haltlosigkeit von einer Figur zur nächsten, von
einer Geschichte zur nächsten, eine Haltlosigkeit, die keine Regeln
kennt, die das Stolpern zum Prinzip erklärt. Aber auch zur Kunst, zu
einer Kunst beiläufiger Eleganz, der Jump Cut als Blinzeln. Das Stolpern
als Equilibristik und am Ende sieht es aus wie eine Fortbewegungsform, die
das Kino viel häufiger üben sollte.
Eleganz ist dabei keinesfalls mit Zurückhaltung zu verwechseln, bei
aller Behutsamkeit. Der Film hat seine hysterischen Momente, denn er hat
seine hysterische Hauptfigur. Ishmael (Mathieu Amalric), der von den Hunden
des Finanzamts gehetzt wird und der Inbegriff einer Person ist, die ihr Leben
nicht im Griff hat, wird in die Psychiatrie eingeliefert. Sein engster Kollege,
seine Schwester, auch seine Eltern halten es für eine gute Idee, ihn
für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen, auch weil er gelegentlich
mit einem purpurnen Königsumhang auf der Straße unterwegs ist.
Ishmael ruft seinen Anwalt zu Hilfe, der erst recht der Inbegriff einer Person
ist, die ihr Leben nicht im Griff hat, vor allem der Drogen wegen. Der holt
ihn, später, raus und hat auch schon eine Idee, wie das Schuldenproblem
durch den nun erwiesenen Irrsinn Ishmaels zu tilgen ist. Ishmael wirft der
Psychiaterin (Catherine Deneuve) die Ungeheuerlichkeit an den Kopf, dass
Frauen leider keine Seele haben und er sucht seine Analytikerin auf, die
schwarze Königin der Psychoanalyse, Madame Devereux, ihren Namen schreibt
Ishmael auf einen Zettel wie ein Wort, das man nicht aussprechen darf: Und
tatsächlich tut es seine zum Glück nie näher erklärte
Wirkung. Was er erklärt und was er nicht erklärt, davon nämlich
hat der Film so seine eigene Vorstellung, gegen keine Überraschung ist
man je gefeit.
Der hysterischen Hauptfigur Ishmael steht die Königin gegenüber,
Nora (Emmanuelle Devos), Ishmaels Ex-Frau - nicht, dass man das sofort
erfährt -, die ihren Sohn Elias über alles liebt (sagt sie), jetzt
gerade ihre dritte Ehe ansteuert, in der Sex keine zentrale Rolle spielt
(wird sie auf dessen Nachfrage später Ishmael erzählen) und ihren
Vater verliert, den der Krebs auffrisst. Nora, der Emmanuelle Devos auf
atemberaubende Weise die widersprüchlichsten Konturen gibt, ist eine
Heldin, die Tod und Teufel nicht scheut und sie ist eine Teufelin, der, im
dritten Teil, ihr Vater eine testamentarische Nachrede zueignet, die
ihresgleichen kaum kennt - und nicht weniger überrascht als die meisten
der vielen Dinge, die in diesem Film, wie man so sagt, passieren. Auf der
Hand liegt, dass es um Familienclans geht, Väter, Söhne, Adoptionen,
Familienbande jeder Art. Und um Personen, die nicht sind, was sie scheinen,
aber auch wieder das nicht, was sie scheinen, sobald man verstanden hat,
dass sie nicht sind, was sie scheinen. Die Grenze zwischen Gut und Böse,
zwischen dem einen und dem anderen, ist nicht klarer als die zwischen Traum
und Wirklichkeit und der Film wechselt zwischen beidem, souverän, behutsam,
ohne alle Skrupel, mit einem Blinzeln seiner Jump Cuts.
Weniger auf als unter der Hand liegen viele Anspielungen - es beginnt mit
einer Lithografie, die Leda und den Schwan zeigt, und es erschöpft sich
noch nicht in den vielen Gedichtzitaten und beziehungsreichen Namen, die
als eine fortwährende Strömung die Geschichten und Verhältnisse,
die die Figuren hier miteinander und untereinander haben, akzentuieren,
konterkarieren, umspielen und unterlaufen. Nichts als Märchen seien
das, die er hier erzählt, meint Desplechin bei seinem kurzen Auftritt
vor dem Film, märchenhafte Geschichten von Kindern, die sich für
Könige und Königin halten. Das Märchenhafte, dem freilich
nichts fremd ist, der Tod nicht, die Liebe nicht und nicht der Traum, der
die Wahrheit sagt, dies Märchenhafte ist vor allem die Lizenz zur
Überschreitung aller Regeln, zum eleganten fortwährenden Stolpern,
eine Equilibristik des sprunghaft Narrativen, die Spiele mit allem Ernst
betreibt, und das Ernsthafte spielerisch. Darin liegt der fast nicht
erschöpfliche Reichtum von "Rois et Reine".
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