Was ist das: pure Manier? Der Blick geht durchs Aquarium, Blasen treiben
nach oben, Fische schwimmen putzmunter durchs Wasser. Dem Blick aber ist
nur das Wasser gegeben, durch das er durch muss, im Raum dahinter ein alter
Mann, der eine Zeitung liest. Dann wird er sie zerreißen (das sehen
wir schon von anderswo), dann ins Aquarium werfen (das sehen wir gar nicht).
Die Fische überleben's nicht, auf einem Streifen, der ins tote Wasser
mit den toten Fischen hängt, steht: Eine neue Pest. Es geht um SARS,
aber sehr am Rande, auf einer zerfetzten Zeitung unter toten Fischen.
Später wird ein Fernseher laufen, es wird wieder von SARS die Rede sein,
sehr am Rande, dann wird der Fernseher ausgeschaltet. Der Junge, der der
Enkel des Zeitung zerreißenden Großvaters ist, bricht auf. Das
sehen wir. Das vom Großvater geschnürte Essenspaket hängt
er am Rande eines Spielplatzes an einen Baum, da hängen schon die vom
Vortag. Er geht nicht zur Schule, er geht in den Spielsalon, Ego-Shooting.
In einem Bildschirm-Dialog mit einem Mitspieler fragt er, wann sie stark
genug sind, Bush zu beseitigen. Die große Politik, sehr am Rande. Im
Vordergrund geht es, tote Fische und aufsteigende Blasen, um anderes.
Auf der Toilette. Eine sehr lange, sehr starre Einstellung, auf der nichts
zu sehen ist als ein leerer, hässlicher Toilettenraum. Ein Geräusch
ist zu hören und wenn es kein Orgasmus ist, dann ist es ein typisches
Toilettengeräusch. Am Ende dieser Einstellung wird eine ältere
Frau zu sehen sein, sie hockt auf der Toilettenbrille. Dann geht sie hinaus
ins Freie und sucht ihren Enkel. Er ist verschwunden. Die Kamera hat einen
Standpunkt gefunden und gräbt sich dort ein. Sie folgt unbewegt der
Frau, die über den Platz, durch einen Park rennt, hin, her, nach dem
Enkel fragt. Manchmal gerät sie, in einer bald darauf folgenden an den
Rand der puren Manier getriebenen Einstellung, aus dem Blick, zu sehen ist
nur noch Gras, ein Hügel, dahinter verschwindet sie, fast vollständig.
Ihr folgt der Film, bis zum Ende. Und dem Jungen, der sich auf die Suche
nach seinem Großvater begeben wird. Zwei Suchende, durch Taipeh irrend,
durch Einstellungen, die eine eingegrabene Kamera entwirft.
Einmal aber eine rasante Fahrt auf dem Motorrad, hinaus aus der Stadt, zum
Militärfriedhof, der aussieht wie eine Schwimmbadumkleide, die Frau
wird Hühnchen mitbringen und ein Feuer anzünden und sie wird weinen
minutenlang, während sich die Kamera nicht bewegt. Ungerührt, ja,
jeden Kommentar zum Thema Rührung verweigernd. Für Innenleben jeder
Art interessiert sie sich nicht, Verzweiflung notiert sie, ihrem eigenen
Nicht-Bewegungsgesetz folgend und den zwei Figuren, die sich sich ausersehen
hat. Die Beschreibung von Verhältnissen funktioniert über das Entwerfen
von Bildräumen. Einmal der Junge vor seinem Ego-Shooter, im unscharfen
Vordergrund sein Hinterkopf nur angedeutet, der Rest ist Ballerei. Kurz darauf
der Hinterkopf des Jungen scharf im Bildmittelpunkt, gerahmt nur vom Videospiel.
Kurz darauf frisst sich die Kamera an der Pupille des Jungen fest, sucht
darin die Schärfe des Videobildes, den Spiegel der Bewegung auf dem
Bildschirm. Diese Kamera denkt sich noch das Auge des Menschen als
Aufzeichnungsapparat, unbeteiligt, Oberfläche, glatt.
Eine Wasserfläche, ein Spiegel, darin findet das Ende seine Leitmotive
wider. Der Junge, die Großmutter, die Suchenden in Taipeh, finden einander.
Sie verfolgt ihn, an einem von Regenwasser gefüllten kleinen Teich in
einer Baustellenbrachlandschaft kommen sie zur Ruhe, sie und ihre Spiegelbilder.
Ein Zaun umgibt den Teich, die beiden, die sich nicht berühren werden,
die am Wasser kauern, mit ihren Bildern im Wasser. Dann ist eine Wand zu
sehen, Schatten darauf, ein Mann, ein Kind, ein Schwert. Die Wand ist ein
Zaun, er umzäunt das Wasser, an dem die Frau, der Junge sitzen. Sie
werden zueinander nicht finden, getrennt durch den Willen zum Zaun, die
Unfähigkeit der Kamera zur Berührung. Pure Manier?
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