Engel des Todes
Sein Name: van Helsing, Gabriel van Helsing; unterwegs im Auftrag
einer weltweit agierenden Geheimorganisation, dem Bösen die Stirn zu
bieten. Er jagt mythische, alptraumhafte Kreaturen in einer Zeit, in der
die Welt das Übernatürliche noch selbstverständlich in ihren
Alltag einbezieht und erntet für seine heldenhaften Missionen keineswegs
den Dank der befreiten Landbevölkerung - man begegnet ihm vielmehr mit
höchstem Misstrauen und bezichtigt den schwer bewaffneten Professionisten
ob seiner Methoden, ein Mörder zu sein. Der einsame, aus der Gesellschaft
Ausgestoßene macht sich - wie es seine Berufung, die ihm selbst
unerklärlich bleibt, von ihm verlangt - gleichwohl unbeirrt auf den
Weg in ein Land, das auch nach der epochalen Zeitenwende hin zur Aufklärung
und dem zu Grunde liegenden Rationalismus noch umfassend der Vergangenheit
verhaftet ist ... Seine schwerste Mission führt ihn nach Transsilvanien,
wo er auf seinen ärgsten Widersacher, den legendären, unbesiegbaren
Vampir Graf Dracula trifft. Dieses Mal tritt er seinen Kampf gegen das Böse
nicht allein an: Zur Seite stehen ihm sein getreuer Gefährte Carl, der
bislang im "Innendienst" alle Waffen für van Helsing ausgeklügelt
hat und darüber hinaus die wunderschöne Anna Valerious, die letzte
Überlebende einer einst mächtigen Adelsfamilie, die ihrerseits
ihr Leben dem Kampf gegen Dracula verschrieben hat, um einen Bann zu brechen,
der nun bereits vierhundert Jahre lang auf ihrer Familie lastet.
Van Helsing, heldenhafter Geisterjäger und meistgesuchtester
Mann des Landes in einem, ist eine Mischung aus einem Man in Black und 007.
Er jagt und tötet Monster, an die die Menschen gegen Ende des 19.
Jahrhunderts nicht mehr recht glauben wollen, verwandeln sich die von ihm
Gejagten im Augenblick ihres Todes doch in die Menschen zurück, die
sie einst gewesen sind.
Wir begegnen in diesem Film lauter "alten Bekannten", etwa dem Monster
Frankensteins, Dr. Jekyll und Mr. Hyde, dem mächtigen Dracula und seinen
Helfern und dem Wolfsmenschen, dem Werwolf. Regisseur Stephen Sommers hat
sich mit Van Helsing in den Kopf gesetzt, "alle klassischen Monster
der Universal-Studios irgendwie aufeinander treffen" zu lassen. Er war
gleichermaßen "wild entschlossen, Verbindungen zwischen den Kreaturen
herzustellen". Sommers möchte in Van Helsing all jene klassischen
Ideen und Erzählstränge miteinander verbinden und gerade hierin
liegt das Problem des Films. Sommers hat sich im Kern der Strategie verschrieben,
Monster-Biografien zu erschaffen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben.
Auch Dracula hat einst gelebt und sich als Untoter Züge seines vergangenen
Menschseins bewahrt - gepaart mit einer alles überragenden
Bösartigkeit. Der Wolfsmensch erscheint uns als die gequälte, von
Dracula beherrschte und befehligte Kreatur, die sich in den ersten, noch
vollmondfreien Nächten gegen ihr unvermeidlich eintretendes Schicksal
aufzulehnen versucht. Und selbst das Frankenstein-Monster, eine ihrem Wesen
nach tragische Figur, verteidigt humanistische Werte und ethische
Grundsätze, gegen die Anna genauso wie Dracula verstoßen wollen.
Es selbst verkörpert und vermittelt die allgegenwärtige Botschaft
des Films: der prometheische Wunsch, das Elixier des Lebens zu finden und
für jeweils eigene Zwecke einzusetzen. Gerade Draculas zentrales Anliegen
ist es, seine Alien-ähnliche Brut dauerhaft zum untoten "Leben" zu erwecken
(bereits hier scheint die Vornamensänderung van Helsings ins Spiel zu
kommen: Gabriel, der Erzengel, an den man seine Fürbitte für das
ungeborene Leben richtet).
Der Kampf der Untoten gegen die Lebendigen, der sich in einem einzigen
Satz niederschlägt, wird vom Monster Frankensteins wiederholt
ausgestoßen: "Ich will leben!" Diese Aussage trifft für die Menschen
zu, die ihr Leben verteidigen wollen und auch für Dracula, der seinerseits
die Menschheit unterjochen und seine Herrschaft des Bösen dauerhaft
durchsetzen will. Dabei geht es ihm und seinen drei Bräuten auch einzig
um die Sicherung des Fortbestands ihrer Art ... Der Widerstreit "Gut gegen
Böse" wird dem Zuschauer präsentiert als parallele Systeme, die
einander viel mehr ähneln, als auf den ersten Blick angenommen. Gleiches
Denken und Handeln findet sich von der technischen Ausstattung (Labor-Labyrinth
im geistlichen Orden zur Waffenherstellung/Draculas elektrifizierendes
Laboratorium) bis hin zum erwähnten Überlebenswillen. Selbst Dracula
und das Frankenstein-Monster weisen verblüffende Parallelen auf - ist
Dracula so sehr "Geschöpf" Doktor Gabriel van Helsings wie auch das
Frankenstein-Monster erst durch seinen Wissenschaftsvater Baron Doktor Victor
Frankenstein erschaffen wurde. Draculas Suche nach anderen, nach Gesellschaft
und Liebe ist die Sehnsucht des Frankenstein-Monsters, wie auch Annas wie
auch van Helsings ... Und schließlich Draculas Rache ist dieselbe Rache
des unzulänglichen Geschöpfes Dr. Frankensteins, die sich gegen
die ihm feindlich gesinnte Gesellschaft richtet und hier im Falle Draculas
in die Verfolgung und Bestrafung des eigenen Schöpfers Gabriel mündet
- Gabriel selbst wird zum Werwolf, dem Wächter Draculas.
Hier entsteht der Verdacht, der Film nimmt zu viele Handlungsstränge
auf, um diese dann auch nur befriedigend zu Ende zu bringen. Da Sommers seinen
seelenlosen Kreaturen mit aller Kraft Leben einzuhauchen versucht, bleiben
gleichzeitig die Charaktere der "guten" Protagonisten auf der Strecke. Sie
sind zu glatt, bleiben zu sehr an der Oberfläche, um Menschliches
auszustrahlen und den Zuschauer tiefer zu berühren. Anna ist
eine toughe Monsterjägerin - ihre plötzlichen Anwandlungen von
Zartheit wie das tränenglänzende Auge zum Bekenntnis "Ich war noch
nie am Meer" wirken deplatziert - ihre vermeintlich benötigte "sanftere
Seite", damit es mit van Helsing funkt, erscheint angedichtet und
unglaubwürdig. Die Dialoge dagegen, die im Kern tragisch sind,
wirken kitschig wie etwa bei Frankensteins Monster und die Coolness van Helsings
und Annas oft lächerlich ... - auch hier hätte sich der Film zu
Gunsten plastischerer Charaktere entscheiden müssen. Die
Nebenfiguren, Igor und Carl sind es, die dem Film durch ihre sehr
eigenen, ausgebauten Wesenszüge etwas "Würze" geben.
Meisterhaft ist die Verbindung der schauspielerischen Fähigkeiten
mit der digitalen Technik - die Bilder verschaffen dem Zuschauer ein
fantastisches Kinoerlebnis. Leider jedoch auf Kosten der Glaubwürdigkeit
der Figuren. Van Helsing kann sich darüber hinaus nicht entscheiden,
was er sein will - Komödie, Tragödie, Kostümfilm, Grusel,
Action oder doch in erster Linie Science-Fiction - und gewinnt dadurch
nicht! Schön und atmosphärisch ist der schwarz-weiße Anfang
des Films, der eine Reminiszenz an die Universal-Monsterfilme der 30er und
40er Jahre darstellt. Allerdings kann man sich hier des Verdachts nicht vollends
erwehren, dass Van Helsing in diesem Punkt auch durchaus unter dem
Aspekt der Public Relation für die bald erscheinende DVD-Box (die einige
Dracula-, Frankenstein und Werwolf-Filme enthalten wird) und eine anlaufende
TV-Serie gesehen werden kann.
Der Film, der zentral den Dualismus von Lebenden und Toten vermittelt,
der beseelt ist von dem Wunsch, Tote(s) zum Leben zu erwecken, bleibt hierbei
selbst höchst seelenlos ...
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