Animation Legend: Winsor McCay

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Animation Legend: Winsor McCay
Kritik von Ekkehard Knörer

Info mit Kaufgelegenheiten


[Image]In Deutschland werden Sie in der Versand-Abteilung des Videodroms fündig, und zwar gleich doppelt. Es gibt einerseits eine Version dieser DVD mit ausführlichem Text-Kommentar (hier) und eine andere (hier), billiger, die nur - aber was heißt hier nur - die Filme enthält. Vollständig sind beide, d.h.: Hier gibt es das Zeichentrick-Gesamtwerk von Winsor McCay zu sehen.

Bei Amazon USA angekündigt ist eine neue Edition der kommentierten Version - die können Sie bereits vorbestellen (siehe links).

Vor dem Film der Meta-Film, eine Wette, ein Wunder: Winsor McCay verspricht, ich bringe die Bilder in Bewegung. Die Bilder sind gezeichnete Bilder, er erfindet den Animationsfilm. Es ist das Jahr 1911, ein historischer Moment. (Er ist nicht wirklich der erste, aber das ist egal: Erzählt wird in der Vorgeschichte, in diesem Rahmen, ein Mythos.) Die Erfindung ist auch eine Transposition, von den großartigen Little-Nemo-Sonntagscartoons, für die McCay längst berühmt ist, hinüber in den Film. Hereingerollt werden die Fässer mit Tinte, die Pakete mit Papier, Bewegung ist harte Arbeit, tausend Einzelzeichnungen, von Hand, später erst wird McCay Leute für die Hintergründe engagieren. Dann das Wunder, es ist ein Wunder, die Hand ist im Bild, die die Figuren aus dem Little-Nemo-Strip zeichnet, dann verschwindet sie, die Figuren bewegen sich von selbst. Sie können es selbst nicht glauben und beginnen, das ist der geniale und für McCay typische Zug, sie beginnen, ihre Existenz zu reflektieren als Form. Was, dies die Frage, die sich vor allen anderen stellt, ist möglich? Mit dem ersten Schritt: eine Befreiung. Nicht gleich ein Hineinsperren in die Narration, keine Mimesis, sondern eine Verfertigung des Unmöglichen von einer Sekunde zur nächsten. Die Gestalten verformen sich, schrumpfen, wachsen, blähen sich auf, schlagen Purzelbäume. Bewegung, die nichts ist als die Freude, die Erdanziehung hinter sich gelassen zu haben. Farbe kommt dazu (später nie wieder: hier aber probiert McCay einfach alles aus), mit der Hand dann noch einmal auf das Filmmaterial aufgetragen. In diesen wenigen Minuten vollendet McCay den Animationsfilm, der Rest ist, könnte man wenig übertreibend sagen, Entfaltung.

Der nächste Versuch: How a Mosquito Operates, ein Mann, ein Moskito. Das Vor und Zurück der Bilder, der Mann, der durch eine Tür geht, vor und zurück, die Wiederholung der Bewegung (wie Martin Arnold, Tatsache), vermutlich, weil es Arbeit spart, aber auch etwas wie der Zweifel der bewegten Bilder an dem, was ihnen widerfährt, ein Ausprobieren, vor und zurück, ein leichtes Zögern vor dem Fluss, der die absolute Freiheit in einen Tic umkehrt und damit doch noch einmal bestätigt. Hier schon zeigt sich, wie sehr viel stärker in späteren Filmen wie "Bug Vaudeville", wie sehr McCay fasziniert ist von den grafischen Möglichkeiten von Insektenbeinen. Die ja nichts anderes sind als Striche, Linien in Bewegung und damit alles, was die Animationskunst braucht. Geradezu obsessiv tauchen diese Insektenbeine wieder auf, Spinnen, Käfer, jonglierend, tanzend und dann, am Ende von "Bug Vaudeville" (der Titel sagt übrigens sehr genau, worum es da geht), wird der Betrachter, der hier träumt, von der Spinne und den Spinnenbeinen attackiert. Der Angriff der animierten Minimalstrichform auf die menschliche Gestalt.

Das Glanzstück aber, McCays berühmtester Film, die Animation, die jede Übersicht über die Geschichte des Zeichtentricks erwähnt, ist Gertie the Dinosaur, aus dem Jahr 1914. Noch einmal erzählt McCay in dieser Kinofassung den Mythos vom Beginn, als Wette, als Geschichte der Verlebendigung des grundsätzlich Toten, da kommt ein Dinosaurier wie gerufen - und es ist kein Wunder, dass Spielberg, um aus der Digitalkunst eine runde Suche zu machen, wieder rufen wird, ohne, versteht sich, den umwerfenden Charme von Gertie auch nur annähernd hinzubekommen. McCay, der selbst ein Vaudeville-Performer gewesen ist, trat im übrigen mit seinem Trickfilm auf, vor Publikum, entsprechend ist er angelegt als Dialog zwischen Schöpfer und - albernem, Zirkus-Dinosaurier, der das rechte Bein hebt, das linke und dazwischen allerlei Unfug stiftet, wie etwa, einen Elefanten durch die Gegend zu werfen, einen See auszutrinken, einen Baum aufzuessen. Dazwischen schaukelt Gertie ein wenig nach links, ein wenig nach richts, immerzu und dieses Schaukeln ist so unbegründet wie wunderbar: es hält den Gegenstand in Bewegung, es verleiht im eigensinniges Leben. Zuletzt, in den letzten Sekunden, bevor Gertie nach rechts aus dem Rahmen verschwindet, kommt noch der Schöpfer ins Bild, Winsor McCay als Zeichentrickfigur, Gertie nimmt ihn auf ihren Rücken. The End. Es gab einen weiteren Film, entstanden von 1918-21, Gertie on Tour, und das heißt: in New York, aber nur winzige Reste sind übrig, eine der großen Verlustanzeigen der Filmgeschichte.

Atemberaubend in ganz anderer Manier ist The Sinking of the Lusitania von 1918, ein Propagandastück gegen die Deutschen, das in strengeren, stilisierteren und zugleich detaillierteren Bildern, vom Untergang des amerikanischen Dampfers erzählt, der von einem deutschen U-Boot versenkt wurde, mit mehr als 2000 Toten. McCay geht hier schon ganz virtuos mit Bildausschnitten, Detailaufnahmen, Zeigen und Verhüllen, narrativer Dramatisierung um, es stockt einem, wenn die Menschen von Bord fallen, der Atem - hier beschränkt sich McCay auf Umrisse, wie er überhaupt auf Sentimentalisierung durch das Erzählen individueller Schicksale verzichtet und nur Tafeln einblendet prominenter Opfer, die dann für alle stehen.Ganz im Ernst denke ich: es wäre einer der Filme, die man nach dem 9. September hätte zeigen können, ein Film, der der Katastrophe in der Darstellung - und auch im Rückzug aus der Darstellung in Qualm, Rauch, Verfinsterung - ganz und gar gerecht wird. Der Film ist eine wütende Anklage, in der aber die Wut in eine Genauigkeit und Schönheit des Bildes verwandelt ist, die ihresgleichen suchen.

Mit The Pet und The Flying House überträgt McCay seine Cartoon-Welt Dreams of a Rarebite Fiend in den Trickfilm. Der Rahmen ist stets der gleiche, jemand träumt schlecht, weil er oder sie schlecht gegessen hat. So auch hier, die Frau geht zu Bett, es folgen gezeichnete Wolken, das Insert "The Dream" und dann, einmal, der Traum, von einem kleinen Haustier - es ist ein Hund, aber, wunderbare Idee, er miaut. Einzig hier übernimmt McCay im übrigen die Sprechblasen, in den anderen Filmen greift er aufs Stummfilmvokabular mit seinen Schrifttafeln zurück, die das Bild rüde unterbrechen. Hier gibt es die Blasen im Bild, das allerdings für die Momente der Einblendung stillgestellt ist, auch hier fährt also die Schrift dazwischen, interruptiv, es ist die Stelle, an der der formale Konflikt zwischen in Bewegung gesetztem Bild und der vom Stummfilm erzwungenen Schriftform der Sprache am deutlichsten markiert wird. Der Hund, den die Frau in "The Pet" erworben hat, frisst und wächst. Er frisst alles und wächst ins Unermessliche, am Ende trampelt er wie Godzilla durch die Straßen New Yorks und verspeist Häuser und Flugzeuge. Ganz und gar ins Fantastische bewegt sich The Flying House, in dem nun der Mann, um den Zinszahlungen für den Mietrückstand (das ist, als Widerspiel der Fantasie, sehr präzise realistisch begründet) zu entkommen, einen Benzinmotor in sein Haus einbaut, einen Propeller anbringt, sich in die Lüfte erhebt, seltsame Abenteuer erlebt und zuletzt beinahe vom Mann im Mond um ein Haar mit einer Fliegenklatsche erschlagen wird. Auch hier gibt es köstliche Details wie die Zigarre im Mund des Mannes, die sich stets im selben Rhythmus wie der liebevoll entworfene, vor sich hin stampfende Hausmotor bewegt. Leider ist der Film nur in einer grafisch eher simplen 16-mm-Fassung erhalten (der Vorspann schreibt ihn Winsor Mc Cays Sohn zu). Die Ausschnitte aus der sehr viel liebevoller ausgearbeiteten 35-mm-Fassung deuten darauf hin, dass hier eines der größten Meisterwerke der Animationsgeschichte wohl nie vollendet wurde.

Aber was heißt das schon, bei dieser DVD, die sämtliche erhaltenen Animations-Arbeiten Winsor McCays enthält, und ohne jeden Zweifel zu den Werken gehört, die man auf die einsame Insel mitnehmen sollte. Und man stelle sich nur mal, träumend, vor, die Geschichte des Zeichentricks wäre nicht in so starkem Maße zur Geschichte von Walt Disney geworden, sondern hätte sich von Winsor McCay inspirieren lassen. Das ist nicht passiert und man kann es unendlich bedauern. Hier aber ist ein unermesslicher Schatz.

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