Vor dem Film der Meta-Film, eine Wette, ein Wunder: Winsor McCay
verspricht, ich bringe die Bilder in Bewegung. Die Bilder sind gezeichnete
Bilder, er erfindet den Animationsfilm. Es ist das Jahr 1911, ein historischer
Moment. (Er ist nicht wirklich der erste, aber das ist egal: Erzählt
wird in der Vorgeschichte, in diesem Rahmen, ein Mythos.) Die Erfindung ist
auch eine Transposition, von den großartigen
Little-Nemo-Sonntagscartoons, für die McCay längst berühmt
ist, hinüber in den Film. Hereingerollt werden die Fässer mit Tinte,
die Pakete mit Papier, Bewegung ist harte Arbeit, tausend Einzelzeichnungen,
von Hand, später erst wird McCay Leute für die Hintergründe
engagieren. Dann das Wunder, es ist ein Wunder, die Hand ist im Bild, die
die Figuren aus dem Little-Nemo-Strip zeichnet, dann verschwindet
sie, die Figuren bewegen sich von selbst. Sie können es selbst nicht
glauben und beginnen, das ist der geniale und für McCay typische Zug,
sie beginnen, ihre Existenz zu reflektieren als Form. Was, dies die Frage,
die sich vor allen anderen stellt, ist möglich? Mit dem ersten Schritt:
eine Befreiung. Nicht gleich ein Hineinsperren in die Narration, keine Mimesis,
sondern eine Verfertigung des Unmöglichen von einer Sekunde zur
nächsten. Die Gestalten verformen sich, schrumpfen, wachsen, blähen
sich auf, schlagen Purzelbäume. Bewegung, die nichts ist als die Freude,
die Erdanziehung hinter sich gelassen zu haben. Farbe kommt dazu (später
nie wieder: hier aber probiert McCay einfach alles aus), mit der Hand dann
noch einmal auf das Filmmaterial aufgetragen. In diesen wenigen Minuten vollendet
McCay den Animationsfilm, der Rest ist, könnte man wenig übertreibend
sagen, Entfaltung.
Der nächste Versuch: How a Mosquito Operates, ein Mann, ein Moskito.
Das Vor und Zurück der Bilder, der Mann, der durch eine Tür geht,
vor und zurück, die Wiederholung der Bewegung (wie Martin Arnold, Tatsache),
vermutlich, weil es Arbeit spart, aber auch etwas wie der Zweifel der bewegten
Bilder an dem, was ihnen widerfährt, ein Ausprobieren, vor und zurück,
ein leichtes Zögern vor dem Fluss, der die absolute Freiheit in einen
Tic umkehrt und damit doch noch einmal bestätigt. Hier schon zeigt sich,
wie sehr viel stärker in späteren Filmen wie "Bug Vaudeville",
wie sehr McCay fasziniert ist von den grafischen Möglichkeiten von
Insektenbeinen. Die ja nichts anderes sind als Striche, Linien in Bewegung
und damit alles, was die Animationskunst braucht. Geradezu obsessiv tauchen
diese Insektenbeine wieder auf, Spinnen, Käfer, jonglierend, tanzend
und dann, am Ende von "Bug Vaudeville" (der Titel sagt übrigens sehr
genau, worum es da geht), wird der Betrachter, der hier träumt, von
der Spinne und den Spinnenbeinen attackiert. Der Angriff der animierten
Minimalstrichform auf die menschliche Gestalt.
Das Glanzstück aber, McCays berühmtester Film, die Animation,
die jede Übersicht über die Geschichte des Zeichtentricks
erwähnt, ist Gertie the Dinosaur, aus dem Jahr 1914. Noch einmal
erzählt McCay in dieser Kinofassung den Mythos vom Beginn, als Wette,
als Geschichte der Verlebendigung des grundsätzlich Toten, da kommt
ein Dinosaurier wie gerufen - und es ist kein Wunder, dass Spielberg, um
aus der Digitalkunst eine runde Suche zu machen, wieder rufen wird, ohne,
versteht sich, den umwerfenden Charme von Gertie auch nur annähernd
hinzubekommen. McCay, der selbst ein Vaudeville-Performer gewesen ist, trat
im übrigen mit seinem Trickfilm auf, vor Publikum, entsprechend ist
er angelegt als Dialog zwischen Schöpfer und - albernem, Zirkus-Dinosaurier,
der das rechte Bein hebt, das linke und dazwischen allerlei Unfug stiftet,
wie etwa, einen Elefanten durch die Gegend zu werfen, einen See auszutrinken,
einen Baum aufzuessen. Dazwischen schaukelt Gertie ein wenig nach links,
ein wenig nach richts, immerzu und dieses Schaukeln ist so unbegründet
wie wunderbar: es hält den Gegenstand in Bewegung, es verleiht im
eigensinniges Leben. Zuletzt, in den letzten Sekunden, bevor Gertie nach
rechts aus dem Rahmen verschwindet, kommt noch der Schöpfer ins Bild,
Winsor McCay als Zeichentrickfigur, Gertie nimmt ihn auf ihren Rücken.
The End. Es gab einen weiteren Film, entstanden von 1918-21, Gertie on
Tour, und das heißt: in New York, aber nur winzige Reste sind
übrig, eine der großen Verlustanzeigen der Filmgeschichte.
Atemberaubend in ganz anderer Manier ist The Sinking of the
Lusitania von 1918, ein Propagandastück gegen die Deutschen, das
in strengeren, stilisierteren und zugleich detaillierteren Bildern, vom Untergang
des amerikanischen Dampfers erzählt, der von einem deutschen U-Boot
versenkt wurde, mit mehr als 2000 Toten. McCay geht hier schon ganz virtuos
mit Bildausschnitten, Detailaufnahmen, Zeigen und Verhüllen, narrativer
Dramatisierung um, es stockt einem, wenn die Menschen von Bord fallen,
der Atem - hier beschränkt sich McCay auf Umrisse, wie er überhaupt
auf Sentimentalisierung durch das Erzählen individueller Schicksale
verzichtet und nur Tafeln einblendet prominenter Opfer, die dann für
alle stehen.Ganz im Ernst denke ich: es wäre einer der Filme, die man
nach dem 9. September hätte zeigen können, ein Film, der der
Katastrophe in der Darstellung - und auch im Rückzug aus der Darstellung
in Qualm, Rauch, Verfinsterung - ganz und gar gerecht wird. Der Film ist
eine wütende Anklage, in der aber die Wut in eine Genauigkeit und
Schönheit des Bildes verwandelt ist, die ihresgleichen suchen.
Mit The Pet und The Flying House überträgt
McCay seine Cartoon-Welt Dreams of a Rarebite Fiend in den Trickfilm.
Der Rahmen ist stets der gleiche, jemand träumt schlecht, weil er oder
sie schlecht gegessen hat. So auch hier, die Frau geht zu Bett, es folgen
gezeichnete Wolken, das Insert "The Dream" und dann, einmal, der Traum, von
einem kleinen Haustier - es ist ein Hund, aber, wunderbare Idee, er miaut.
Einzig hier übernimmt McCay im übrigen die Sprechblasen, in den
anderen Filmen greift er aufs Stummfilmvokabular mit seinen Schrifttafeln
zurück, die das Bild rüde unterbrechen. Hier gibt es die Blasen
im Bild, das allerdings für die Momente der Einblendung stillgestellt
ist, auch hier fährt also die Schrift dazwischen, interruptiv, es ist
die Stelle, an der der formale Konflikt zwischen in Bewegung gesetztem Bild
und der vom Stummfilm erzwungenen Schriftform der Sprache am deutlichsten
markiert wird. Der Hund, den die Frau in "The Pet" erworben hat, frisst und
wächst. Er frisst alles und wächst ins Unermessliche, am Ende trampelt
er wie Godzilla durch die Straßen New Yorks und verspeist Häuser
und Flugzeuge. Ganz und gar ins Fantastische bewegt sich The Flying
House, in dem nun der Mann, um den Zinszahlungen für den
Mietrückstand (das ist, als Widerspiel der Fantasie, sehr präzise
realistisch begründet) zu entkommen, einen Benzinmotor in sein Haus
einbaut, einen Propeller anbringt, sich in die Lüfte erhebt, seltsame
Abenteuer erlebt und zuletzt beinahe vom Mann im Mond um ein Haar mit einer
Fliegenklatsche erschlagen wird. Auch hier gibt es köstliche Details
wie die Zigarre im Mund des Mannes, die sich stets im selben Rhythmus wie
der liebevoll entworfene, vor sich hin stampfende Hausmotor bewegt. Leider
ist der Film nur in einer grafisch eher simplen 16-mm-Fassung erhalten (der
Vorspann schreibt ihn Winsor Mc Cays Sohn zu). Die Ausschnitte aus der sehr
viel liebevoller ausgearbeiteten 35-mm-Fassung deuten darauf hin, dass hier
eines der größten Meisterwerke der Animationsgeschichte wohl nie
vollendet wurde.
Aber was heißt das schon, bei dieser DVD, die sämtliche
erhaltenen Animations-Arbeiten Winsor McCays enthält, und ohne jeden
Zweifel zu den Werken gehört, die man auf die einsame Insel mitnehmen
sollte. Und man stelle sich nur mal, träumend, vor, die Geschichte des
Zeichentricks wäre nicht in so starkem Maße zur Geschichte von
Walt Disney geworden, sondern hätte sich von Winsor McCay inspirieren
lassen. Das ist nicht passiert und man kann es unendlich bedauern. Hier aber
ist ein unermesslicher Schatz.
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