Der Grundkonflikt: Romeo und Julia. Darübergeblendet aber,
in Tragödienform, ein Essay über die Beendbarkeit der Rache, den
Preis, der für ihr Ende zu zahlen ist, Erlösung durch weibliches
Opfer, Umschrift der Tradition im Vatermord (nichts geringeres) und das Scheitern
des Mannes, der zurückfällt in das Verbrechen, das zu bekämpfen
er angetreten ist. Diese Tragödie, als Geschichte einer maßlosen,
gesetzlosen Liebe ist hineingeschrieben in den Sand einer endlosen. Ein Problem
schon hier: Die Umschrift ist, in aller Radikalität, verweht, im
nächsten Moment.
Es beginnt mit der Setzung der Differenz, der Fehde - es folgt ein
Aufschub, eine sofortige Entdifferenzierung. Ein Jahrmarkt, mitten in der
Wüste, unübersichtliches Treiben der Riesenräder und Attraktionen,
mitten darin Reshma, mitten darin Shera, aus dem bunten Treiben werden von
der den Trubel, nicht Übersicht suchenden Kamera - oft Handkamera -
erst nach und nach Beziehungsmuster aus dem Teppich der Farben, der Bewegungen
herausgeschnitten. Oder: in ihn hineingewebt. Erste Begegnungen der Blicke,
die getauscht werden, einmal, zweimal, dreimal, Großaufnahme, Zoom.
Intensitätserzeugung durch Wiederholung, durch Insistenz. Dann wieder
Bewegung, Flucht, Flüchtigkeit, Aufsuchen anderer Orte. Ein anderer
ort der ersten Begegnung zum Dialog der erste Stock eines Gebäudes,
Shera ersteigt ihn über den Rücken des Kamels. Säulen
zäsurieren die Nähe, Reshma, die sich spielerisch entzieht. Im
Hintergrund immer, Lichtfäden ziehend im Fenster, das Riesenrad. Die
namenlose Liebe erhält ihren Namen und erweist sich als die verbotene
Liebe schlechthin. Ein Kreislauf der Rache liegt auf den Familien, Sheras
Schwur, ihn zu durchbrechen. Noch auf dem Jahrmarkt schreitet er zur Tat,
fährt seinen blutdürstenden Brüdern in die Parade.
Der Film sucht keine Ortsbestimmung, die Wüste markiert vielmehr
beinahe archaische Ort- und Zeitlosigkeit (Gegenstände wie eine Colaflasche,
ein Transistorradio als in die Zeit, in den Raum gefallene Markierungen,
an die sich kaum weitere Bestimmtheit anhaften kann). In diesen leeren Raum
hinein aber zeichnet "Reshma aur Shera" eine sehr präzise Topographie.
Die Fülle des Jahrmarkts (in der Wüste) hier, die Leere der Wüste
da. Die feindlichen Lager, die Wüste als Zwischenraum. Die zweite Song-
and Dance-Einlage - nach einer aufregenden ersten Annäherung, die Sheras
Fantasie durch einen roten Armreif hindurch wirklich werden lässt -
in einem Palast, der nicht mehr Jahrmarkt, noch nicht der Ort der Herkunft,
der Familie ist, leer und somit reine Spielfläche für ein Spiel,
zunächst, zwischen Waheeda Rehman und der Kamera. Sie flieht und kokettiert,
die Kamera filmt aus der Ferne, aus der Nähe, gelegentlich zur Handkamera
dynamisiert und intimisiert. An ihren Platz tritt dann Shera, aus dem Nichts,
aus dem Off ins Bild, die Jagd um die Pfeiler setzt sich fort, nun als
Liebesspiel. Sie bekennt sich zu ihm, er schwört der Rache ab.
Die Wüste als der Zwischenort, das Nichts, das ihnen Raum gibt.
Raum zur Umschrift der Gesetze, die außerhalb dieses Nicht-Orts gelten
- und deren Kraft auch innerhalb dieses Nicht-Orts spürbar wird, am
Ende, wenn hier die letzte Aushandlung stattfindet, die Institution des neuen
Gesetzes. In der Wüste vereinigen sich Reshma und Shera am Feuer. Vor
flagranter Symbolik scheut der Film nicht zurück, fasst die Liebe ins
tief zwiespältige Bild. Die Flamme lodert im Vordergrund, dahinter Reshma
und Sherma, einander in den Armen, die Flamme der Liebe, Flamme des Todes,
am Ende wird dieses Bild wiederholt, symbolisch und überführt von
der Liebe in das Ende des Kreises der Rache, der nun durchbrochen ist. Reshma
und Shera auf dem Wüstenboden, er lässt Sand über sie rieseln.
Lass uns hier liegen für immer, sagt er, all das wird sich wiederholen,
bewahrheiten in konsequenter Durchführung der Prämissen, die den
Zirkel des Tragischen entwerfen.
Grandios, ein Spektakel für sich, sind die Tableaus der Wüste.
Zehn Sekunden lang vielleicht ein stummes Bild: Den rechten Rand des Bildes
rahmt Zweiggefinger hell vor schwarzem Hintergrund, darunter, als beinahe
verschwindende Figur die rot gekleidete Reshma (schon in der Titelsequenz
sieht man sie zunächst nur von hinten, rot, nur ein Kleid, sie dreht
sich dann zur Kamera). Anderes Bild: Die Faszination der Hell-Dunkel-Rillen
des Sandes, Annäherung an abstrakte Muster. Die Geschichte, die Figuren,
die Tragik werden dann immer wieder wie zurückgeholt in die Bilder,
in die der Film sich verlieren will. Der Himmel über der Wüste,
vier fünf Einstellungen hintereinander, es will Tag werden, der Aufgang
der Sonne. Der Film will das Monumentale, in den Bildern, in der Tragik seiner
Geschichte. Er sucht, spürbar, Bilder für die eigene Größe,
manchmal findet, manchmal verfehlt er sie (ist es dann Kitsch?
vielleicht).
Und später, nach der Zäsur, die gewaltsam durch den wohl
endgültigen Verlust von etwa zwanzig Minuten Film gesetzt wird, der
Umschlag in Aushandlungsszenarien. Wie biegen wir den Kodex auf, wie widerstehen
wir dem ehernen Gesetz, das auf uns lastet. Das Gesetz des Vaters, das hier
zerstört wird. Und die Zerstörung, die als Fortsetzung desselben
Gesetzes der Rache auf den Zerstörer zurückfällt. Der Ausbruch
gelingt nur im Opfer der Frau, im schockierenden Verzicht auf jede diesseitige
Erfüllung. Der Überlebende ist stumm, ein Ausgestoßener -
als unschuldiger, als ganz und gar passiver Täter - aus der symbolischen
Ordnung. Nur so kann er, als im Selbstopfer angenommener Ehemann zum
Gründungsvater eines neuen Gesetzes werden, das nicht das des Vaters
wäre, sondern das des Impotenten, des Schwächlings. Diesen Schritt
ans Ende des Patriarchats geht der Film mit letzter Konsequenz.
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