"A tout de suite" ist ein Film über das Gesicht von Isild Le Besco.
Isild Le Besco ist die Schauspielerin, gerade 22 Jahre alt, die als Regisseurin
den wunderbaren Film "Demi Tarif"
gedreht hat. Benoit Jacquot lässt die Handkamera im Schwarz-Weiß
seines Historienfilms (es war der Frühling des Jahres 1975, sagt die
Stimme von Isild Le Besco) in Großaufnahmen ihr Gesicht suchen, immer
wieder, insistent, und umso insistenter, je mehr es sich verschließt,
je weniger darin die Verzweiflung zu lesen ist, in die hinein das Leben von
Lili mündet, nach dem Glück, das sie gefunden zu haben glaubte,
nach dem Traum von einer Liebe, die am Flughafen von Athen endet, so
beiläufig wie abrupt, ein Auto, das davonfährt, eine Geschichte,
die vorüber ist. Der Rest ist Nachspiel, Verzweiflung, verzweifelte
Hoffnung, leer bleibt die Leinwand, wenn sie sich fortan mit einer
Großaufnahme des Gesichts von Isild Le Besco füllt.
Ein Gesicht ist es, in das Lili, die Kunststudentin, sich verliebt, auf den
ersten Blick. Ein junger Araber, sie zeichnet sein Gesicht, sie schläft
mit ihm, er schenkt ihr ein teures Armband, er hat Geld und etwas stimmt
nicht. Ein Telefonanruf, wir haben eine Bank überfallen, sagt er, der
Kassierer ist tot, ich sitze fest, mit Geiseln. Er entkommt, er findet bei
ihr Unterschlupf, sein Komplize, dessen Freundin, zu viert fliehen sie.
Später, beim Frühstück, die eine Frau zur anderen: Du kommst
auch aus dem Großbürgertum. Das ist der Grund, warum Lili, die
aufs äußerste gelangweilt ist, von ihrem Leben, ihren Eltern,
ihrer Familie, ihrem Studium, das Verbrechen gerade recht kommt, eine Gelegenheit
zur Flucht, die sei gesucht zu haben scheint.
Gerade im Bezug, der sich nahelegt, zur Nouvelle Vague, zu Godards "Außer
Atem", ist "A tout de suite", als Nachspiel, als nachgeholte Geschichte eines
katastrophal endenden Ausbruchsversuchs, ein finsterer Kommentar zu den 60er
Jahren. In der weit reichenden Verinnerlichung seiner Motive schweigt der
Film beredt zu den Hoffnungen einer Generation. Lesbar wird Jacquots
Gangsterballade als Gegenstück zu Bertoluccis so sentimentalen wie
nostalgischen "Träumern", dem Entwurf also einer Innerlichkeit, in dem
Revolution, Liebe und Nouvelle Vague in ganz imaginärer Weise für
einen Moment noch einmal zusammenfinden: eine Altmännerfantasie.
Jacquots Innerlichkeit aber ist eine auf Gesichter, auf Großaufnahmen
des Gesichts von Isild Le Bescos fixierte. Von Freiheit ist darin nichts
zu lesen, das Glück ist von Beginn an eine Lüge. Daran ändert
sich nichts dadurch, dass Lili, in Madrid, in Marokko daran glaubt. Noch
in den Momenten, in denen die Fliehenden der Macht entkommen, steckt nicht
das kleinste Element von Übermut, von jener jugendlichen Tollkühnheit,
die die größenwahnsinnigen Gesten der Nouvelle Vague immer wieder
in ihr Recht setzte.
Der Terrorismus, der die eigentliche Folie dieser Geschichte ist, wird von
Jacquot ins Kleinkriminelle verschoben, der Aufbruch in die zunehmend gehetzte
Flucht, die Liebe in die Beinahe-Prostitution. Lesbar wird das Gesicht von
Isild Le Besco, Großaufnahme für Großaufnahme, nur ex negativo,
in dem, was Jacquot ausspart, vielleicht verdrängt, gerade auch, indem
er der den Alltag der Zeit immer wieder in mechanischer Weise abzubilden
sucht, durch den Insert von historischem Filmmaterial. Wie sich hier ein
Regisseur der Post-Nouvelle-Vague den ganz hoffnungslosen Ausgang einer Rebellion
erträumt, das hat etwas Unheimliches. Und ist darin sehr viel ehrlicher
und treffender als Bertoluccis mit viel Rouge aufgeschminkte Revolutionsleiche.
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