"Found Footage ist gefundes Filmmaterial oder eher:
angeeignetes. Es geht um einen Wechsel der Autorschaft. Wer found
footage verwendet, einsetzt, sich aneignet, enteignet zugleich den
ursprünglichen Produzenten, löst es aus dem Kontext seiner Entstehung
und übernimmt, ob er will oder nicht (und meist ohne Einwilligung des
ursprünglichen Produzenten) die Verantwortung für den neuen Sinn,
den der neue Kontext gibt. Der Umgang mit Found Footage ist ein
erprobtes Konzept im experimentellen Film, es ist eine Reaktion auf die Tatsache
falls es eine Tatsache ist -, dass wir stets schon mit vorgeformten
Bildern konfrontiert sind noch da, wo wir neue zu produzieren glauben. Schon
mancher, der Neues zu erfinden glaubte, fand nichts weiter als das Klischee,
das es schon längst gab.
Good Bye Lenin, dessen
weltweiter Erfolg auf der Berlinale des letzten Jahres seinen Ausgang nahm,
war genau das: Die Neuerfindung der DDR als das Klischee ihrer selbst.
Auch die Regisseure Eyal Sivan und Audrey Maurion nähern sich
der DDR und sie nähern sich ihr über Found Footage.
Zu den Bildern, die nicht die ihren sind, die sie aus den Archiven geholt
haben, Fernseh-Archiven und Stasi-Archiven, kommt ein Text, der selbst
found footage ist, die Notizen eines Offiziers der Stasi, verfasst
im Moment der Wende, erschienen schon im Jahr 1990. Dieser Text, den der
Film sich aneignet, den Axel Prahl liest, gibt den Leitfaden, die narrative
Schnur, auf die die Bilder gefädelt werden. Der Stasi-Mann erzählt
sein Leben. Er glaubt an den Sozialismus, auf dessen Ende er mit Sarkasmus,
Verunsicherung und Verzweiflung reagiert. Es gibt Einblicke in Details der
operativen Tätigkeit, notiert werden berufliche Erfolge wie Misserfolge,
Privates, soweit es damit zusammenhängt. Man erfährt nichts aufregende
Neues, aber doch Interessantes über inoffizielle Mitarbeiter und offizielle
Sprachregelungen.
Entscheidend ist nun der Akt des Rearrangements des aus verschiedensten
Kontexten her Angeeigneten, ist die Rekontextualisierung von Text und Bild
im neuen Zusammenhang, zu dem Film, den wir sehen. Auf den ersten Blick passt
alles bestens zusammen, die Komposition erzeugt nichts als Harmonien. Der
Text spricht von dem Eindringen in Privatwohnungen, was man sieht: Zwei
Stasi-Mitarbeiter dringen in eine Privatwohnung ein. Wir hören vom Volk
auf der Straße, wir sehen das Volk auf der Straße, wir hören
von der Familie, zu sehen sind Aufnahmen eines Propagandafilms aus dem zehnten
Jahr der DDR, die Mutter stellt die Torte auf den Tisch. Und immer wieder
Material von geheimen Aufzeichnungen, bis hin zum offenbar
konterrevolutionären Ehebruch. In der Aneignung verlieren die gefunden
Bilder den Ort ihrer Herkunft und werden zur Illustration des Textes, auf
den der Film sie stoßen lässt. Dieser Zusammenstoß ist der
Ort der Regie. Die Energien, die er entbindet, entscheiden darüber,
was der Film zu sagen hat.
Was die Regisseure zu sagen haben ist klar, sie teilen es einem im
beigegebenen Handout mit: Unser Ziel ist es, die Zuschaueransichten
über die Fähigkeit von Bildern, die Wahrheit
auszudrücken, in Frage zu stellen und der Illusion entgegen zu wirken,
man könne die Wirklichkeit über den Umweg einer Darstellung von
ihr erkennen. Es geht also um Zuschauerpädagogik. Daran, dass
die Bilder zusammenpassen, obwohl diese Passgenauigkeit eine durch Aneignung
und Rearrangement künstlich, im Ein- und Zugriff erst hergestellte ist,
soll der Betrachter erkennen, dass der Dokumentcharakter der Bilder, von
deren Herkunft er nichts erfährt, täuscht. Nicht die Bilder, nicht
der Text, sondern die wunderbare Harmonie von Bild und Text sollen irritieren.
Es fragt sich allerdings, ob dieser Effekt tatsächlich eintritt. Ob
nicht die Bilder in ihrer Illustrativität aufgehen und ob nicht gerade
die Irritation ausbleibt. Ob sie nicht gegen die erklärte Absicht
der Regisseure die Illusion einer dem Archiv geschuldeten
Verfügbarkeit des Bildes als Zeugnis erst erzeugen. Es fragt sich, ob
der Film sich gegen eine solche klischierende Lektüre tatsächlich
zu sperren vermag. Mein Eindruck ist: nein. Damit aber wäre er auf ganzer
Linie gescheitert.
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