In den früheren Filmen war es eine Frau (die Schwester/die Ehefrau),
der die Zärtlichkeit der ultrabrutalen Hauptfigur galt. Hier ist es
der kleine Junge - der aber weniger Gegen- als Spiegelfigur ist, dem es
vorzuführen gilt, was es bei einem Erwachsenen heißt, auf alles
Erwachsen-Sein Verzicht zu tun. Wenn das als Therapie gegen den Verlust der
Mutter taugt, umso besser. Das tut es übrigens überaus gründlich,
denn was der Film inszeniert, ist das Ende der Familie als Blutsverwandtschaft,
die Errichtung einer geradezu utopischen neuen Gemeinschaft der Außenseiter
und Verlierer.
Takashi Miikes Festival- Schocker um einen Mann auf der Suche nach einer
Frau. Was er findet, ist ein einziger Alptraum.
"Die krassen, kaum zu ertragenden Bilder (und Geräusche!) fordern ganz
unabweislich die Ambivalenz, um nicht reiner Selbstzweck zu sein, nichts
als Lust am Schock. Gelegentlich scheint Audition, und daher rührt
ein zuletzt nicht ganz beiseite zu schiebendes ästhetisches Unbehagen,
auf die Seite reinen, naturalistisch inszenierten Horrors zu kippen.
Stärker, viel stärker, ist er in den Momenten, in denen er klarer,
wenn man so sagen kann, auf Ambivalenz setzt."
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Rezension von Ekkehard Knörer
Kore-eda kommt vom Dokumentarfilm und das merkt man auf Schritt
und Tritt. Viele der Darsteller sind Laien, viele der Erinnerungen (der Laien
wie im übrigen auch der professionellen Schauspieler) sind "authentisch",
sichtlich nicht auf Rührungseffekte hin zurechtgelegt, ja zum guten
Teil: schlicht und einfach banal. Auch die Kamera, die viel still hält
in langen Einstellungen, liebt vor allem Talking Heads, es ist, hier und
auch sonst nicht, fast kein narrativer Luftzug in diesem Film zu spüren,
der die eine Woche, in die er die allmähliche Verfertigung der ewigen
Erinnerung packt, ohne Hast abschreitet.
Kizuna (Kichitaro Negishi, 1998)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ein Mord geschieht und alle Beteiligten - der Zuschauer nicht
zuletzt - haben Mühe, ihn zuzuordnen: Yakuza, Melodram oder Krimi? Der
Film prallt dabei von einer Bande zur anderen und verliert jedesmal, wenn
er von hier nach da gerät, genau jene Intensität, die er zuvor
mit viel Mühe aufgebaut hat.
The Ring (Regie: Hideo Nakata,
1998)
Rezension von Elisabeth Wolf
Statt auf Effekthascherei und Gewaltorgien setzt The Ring"
auf Atmosphäre und baut langsam aber effektiv eine drückende Spannung
und allgegenwärtige Bedrohung auf. Regisseur Nakata versteht es meisterhaft,
mit den instinktiven Urängsten seiner Zuschauer zu spielen. Der Imagination
der Zuschauer wird viel Raum gelassen, denn was könnte beängstigender
sein, als was man nicht weiss, wo alles möglich ist und die ganze
Vorstellungskraft zum Zuge kommt ?
Shohei Imamura: Der
Aal (Japan 1997)
Kritik von Ekkehard Knörer
Der Film beginnt drastisch und blutig, im weiteren Verlauf aber
bleibt er sanft gestimmt, so ruhig und zurückhaltend wie sein Held,
der der Welt abhanden bleiben will. Im Grunde ist Der Aal die Geschichte
einer Resozialisation, die auf allen sentimentalen Humanismus verzichtet.
Alle Wiederannäherung des Helden an die Welt verläuft zögernd,
den Kleinigkeiten gilt größere Aufmerksamkeit als dramatischen
Wendungen.
Rezension von Ekkehard Knörer
"Die Figur Takabes ist das Zentrum des Films, um das die Figuren
als Variationen des Grundmotivs - das Fließen der Grenzen von
Identität und Erinnerung, von unbewussten Wünschen und bewusster
Kontrolle über die eigenen Handlungen - gruppiert werden. Zuletzt findet
sich Takabe selbst jenseits der Grenze wieder - und Cure geht mit zwei
rätselhaften Schlusseinstellungen noch einen Schritt weiter, verweigert
zuletzt auch dem Zuschauer die klare Unterscheidung zwischen Fantasie und
Realität."
Shall we Dance? (Regie:
Masyuki Suo, 1996)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Tanz ist die glückliche Metapher für die langsame,
buchstäblich schrittweise Befreiung aus den Engpässen der Konvention
und des japanischen Büroalltags. Eleganz ist der eine mögliche
Gegenentwurf, Leidenschaft, Exzess ein anderer. Das Tanzen ist eine
Verschwörung der Außenseiter, die Tanzfläche das Projetkions-
und Therapiefeld für anonym Sehnsüchtige. Körper, die ganz
Tanz geworden sind, fallen, noch und gerade in der Irreduzibilität auf
die normale Alltagsbewegung, in eine merkwürdige, identifzierbare
Exzentrizität des Bewegens. Tanz ist Gegenwelt, die ausgreift auf das
alltägliche Leben.
Maborosi
(Hirokazu Kore-eda, 1995)
Kritik von Ekkehard Knörer
Es ist, wie es ist. Das ist es, was jede dieser langen Einstellungen
zu sagen scheint. Es ist nicht gut, aber es ist. In der Schönheit der
Bilder liegt kein falscher Trost, aber doch ein Blick, der zeigt, dass auch
anderes ist als die Trauer und die Verzweiflung. Und anderes, auch das, als
das Glück. In den letzten Einstellungen sind die Menschen verschwunden.
Man sieht die Landschaft, das Meer, den Fels. Und dann, zuletzt, der Blick
durchs Fenster. Von innen nach außen. Vom Dunklen ins Helle.
Mamoru Oshii: Ghost in
the Shell (Japan 1995)
Die künstliche Schwerelosigkeit, die Leichtigkeit als
Prothese. Das Auftauchen als schizophrene Begegnung mit dem Spiegelselbst,
die enttäuschende Rückkehr ins Individuum – das sofort
sich, seine Identität, seine Erinnerung zu befragen beginnt. Das andere
Ich vergeht in der Wirklichkeit als Schein. Das artifiziell verkörperte
Ich, das an sich zweifelt, aus dem die fremde Stimme spricht. Differenz von
Schizophrenie und Verschmelzung, die nicht aufgelöst wird. Der
exterritoriale Ort: der Fluss. Auch den muss die Heldin hinter sich lassen.
Hundert Jahre
japanisches Kino (Regie: Nagisa Oshima, 1994)
Rezension von Ekkehard Knörer
Fast ärgerlich, dass der Film das Ansehen natürlich
dennoch lohnt: einzig des präsentierten Materials wegen, an das man
sonst nur schwerlich herankommen dürfte. Hätte man jedoch die
Ausschnitte aus den Klassikern untertitelt und auf den Kommentar verzichtet:
man hätte dem japanischen Film mehr gedient.
Klassiker
Im Reich der Sinne
(Regie: Nagisa Oshima, 1976)
Rezension von Ekkehard Knörer
Thema und Darstellung sind in Im Reich der Sinne eins.
Es gibt keine Indirektheiten, Andeutungen, keine Metaphern und Symbole. Alle
Aktion, jeder Blick ist direkt, alles steht für das, was es ist. Die
Repräsentation ist ganz und gar flächig. In dieser Hinsicht wiederholt
der Film in der Form die Obsession seiner Figuren. Daher auch muss er alles
zeigen: die Wiederholungen, die langsame Steigerung, die sexuellen Einzelheiten,
das Ei und das Blut.
Seijun Suzuki:
Abrechnung in Toko (1966)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das Genre wie der Plot sind kaum mehr als Hintergrund in Tokyo
Drifter, verschwinden hinter der furios stilisierten Oberfläche der
Bilder. Das Topische treibt Blüten, hinter deren Buntheit die Geschichte
zum Vorwand zusammenschrumpft. Der Film ist beinahe reine Manier, verliebt
in die Ausmalung, nicht in den Zusammenhang, den sie zum Stoff vielleicht
hat. Das Yakuza-Genre löst sich vor den Augen des Betrachters auf in
Pop-Art-Variationen. Die Figuren verschwinden im Bild, die Frontverläufe
im Farbzusammenspiel von Vorder- und Hintergründen.
Shohei Imamura: Stolen
Desire (J 1958)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Film nähert sich seiner Geschichte von oben (die Kamera),
auktorial (eine Erzählerstimme), situierend (historisch: dies ist Osaka,
von den Spuren des Krieges nichts mehr zu sehen), repetitiv (der Turm, der
im ersten Teil das Leitmotiv bleibt, das Wahrzeichen der Stadt). Das aber
ist nichts als ein Mastershot-Eingang, wenn man so sagen kann, denn weiter
geht es im Kleinen, menschlich, allzumenschlich, der Atem des Historischen
und auch des Auktorialen geht dem Film ebenso rasch aus wie die Vogelperspektive
Shiro Toyoda: Yukiguni
(1957)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Film beschränkt sich weitgehend aufs Kammerspiel zwischen Shimamura
und Komako, ein Hin und Her der kaum ausgesprochenen Gefühle, dessen
postulierte Intensität sich nie überzeugend darstellt. Selbst die
klaustrophobische Atmosphäre aus Helligkeit und Schneemassen
überträgt sich nicht, zu sauber abezirkelt sind die Einstellungen
in Innenräumen, zu bieder ist alles in Szene gesetzt.
Akira Kurosawa:
Bericht über ein menschliches Wesen (Japan, 1955)
Kritik von Dagmar Hotze
Indem Toschiro Mifune die innere Zerrissenheit des Patriarchen sichtbar macht,
lässt der den Zuschauer erahnen, welche Gratwanderung sich in dem Land
der aufgehenden Sonne, seit den 50iger Jahren vollzieht. Ein kleines, vergessenes
Meisterwerk.
Yasujiro Ozu: Ich wurde geboren,
aber... (Japan 1932)
Rezension von Ekkehard Knörer
Wichtig, wünschen die Kinder, soll der Vater sein, aber er ist es nicht.
Die Kamera ist bei ihnen, weiß aber immer schon mehr. Auf ihrer
Augenhöhe weiß sie schmerzlich um die Unlösbarkeit der Konflikte,
die die Kinder noch heroisch austragen. Die Kamera kennt keinen Widerstand
gegen das, was sie zeigt, die Härte ihrer Beschreibung liegt im Negativen:
im Verzicht auf alle Sentimentalität. Sie zeigt und zeigt. In Bewegung
ist sie mit den Kindern, identifiziert sich - scheinbar - mit ihnen im
Travelling, begleitet sie auf ihrem Weg, auf ihren Wegen, den immerselben.
Porträt
Porträt des Regisseurs Hiroyuki Nakano
Ein Porträt von Dagmar Hotze
Das japanische Underground-Kino hat in den vergangenen Jahren wohl einige
der bizarrsten und skurrilsten Filme hervorgebracht, die die Kinowelt je
gesehen hat. Sicherlich, alles was aus Nippon zu uns gelangt ist im Moment
"cool" und "hip", doch es ist unverkennbar, dass die dortige Multimedia-,
Videoclip- und Kinolandschaft etliche interessante Regisseure, Künstler
und Musiker sowohl anzieht als auch hervorbringt und gemeinsame Projekte
realisieren lässt. Einer davon ist der 1958 in Fukujama, in der
Präfektur Hiroshima, geborene Hiroyuki Nakano, der durch den Rock'n'Rock
Samurai Film Samurai Fiction (1998), einer Synthese aus traditionellem
Samuraifilm und moderner Videoclipästhetik, bei uns bekannt wurde.
Buch
Contemporary Japanese
Cinema
Rezension von Dagmar Hotze
Für Kenner des japanischen Kinos bietet sich diese leicht
lesbare Lektüre besonders als Nachschlagewerk an, da die 265seitigen
alphabetisch geordneten Filmbesprechungen in ihrer Ausführlichkeit keine
Wünsche offen lassen. Die (noch) Unkundigen erhalten einen Überblick
über das japanische Schaffen jenseits der Manga-Welt und wünschen
sich ein Kino in ihrer Nähe, dass bald eine Japan-Filmreihe auf dem
Programm hat.