Dominik Graf: Kalter Frühling (D 2003)

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Jump Cut Filmkritik
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Dominik Graf: Kalter Frühling (D 2003)

Buch Markus Busch

Regie Dominik Graf

Kamera Hanno Lentz

Produzent Michael Hild

Produktionsleitung Rolf Schleitzer

Herstellungsleitung Frank Döhmann

Redaktion Caroline von Senden, ZDF

Darsteller Jessica Schwarz, Friedrich von Thun, Tanja Gutmann, Mattias Schweighöfer, Angela Roy, Misel Maticevic

 

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Dominik Graf: Kalter Frühling (D 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

[Image]

Info mit Kaufgelegenheiten


[Image]Dominik Graf macht Kino im Fernsehen, aber vielleicht ist das genau die richtige Verbindung, vielleicht funktioniert es gerade als Kino im Fernsehen, als Fernsehen als Kino am besten. Die Stoffe sind meist Kolportage, die Behandlung macht daraus  gerade nicht Filmkunst - die Filme ziehen ihre Stärke gerade aus der Herkunft des Stoffs, indem sie ihm Wahrheiten des Gefühls abtrotzen, die weit von aller Alltagsbeobachtung entfernt sind. Vielleicht ist wirklich das Kino nicht der rechte Ort für Grafs Kunst, weil es immer schon zu groß, zu hoch ansetzt. Es ist das Fernsehen des Herbert Reinecker, der Rosamunde Pilcher, dem Dominik Graf Gewalt antut. Im Kino will er dann vielleicht zu viel (und verfehlt so ein größeres Publikum), wie beim aufregenden Berlinale-Desaster "Der Felsen" (DVD) - oder zu wenig, wie beim vergleichsweise konventionellen, hoch spannenden, kommerziell aber gefloppten Werk "Die Sieger" (DVD). Im Grunde kann man bei Graf jedenfalls kaum fehl gehen, der immer deutlicher jedem Genre seine eigene Handschrift aufzuzwingen versteht. Er ist zudem einer der wenigen deutschen Fernsehregisseure, deren Arbeiten auch auf DVD gepresst werden, so im Doppelpack von "Deine besten Jahre" und "Bittere Unschuld" (DVD) oder der Neuausgabe des großartigen "Der Skorpion" (DVD).   

Die Musik arbeitet gegen die Bilder, gleich zu Beginn. Nicht mit den Bildern. Hintertreibt die Bilder. Dieter Schleips grandios atonale Klänge, es ähnelt dem Beginn von "Deine besten Jahre" (die beiden Filme gehören zu einer Trilogie), wieder eine Party, eine Frau, die spürt, dass etwas nicht stimmt, dass man ihr etwas verschweigt. Immer mehr wird Dominik Graf zum Meister des Atmosphärischen. Hier eine Einstellung auf einen Gegenstand, hier ein Schleipscher Akzent, großartig einmal, später, der Blick auf einen Pavillon im Garten, strahlend weiß im Dunkel, narrativ bezugslos und auch kein Symbol. Es geht nicht um Symbolisierung, nicht um Metaphern, sondern um die Einarbeitung des Gegenstands (immer wieder: der gestohlene Schaukasten) als Leitmotiv, Novellentechnik, aber vom Zwang zur direkten Bedeutung befreit. Im Nu evoziert Graf so Komplexitäten, ein Blick, ein Klang, die leichte Unruhe der Kamera, schroffer Schnitt.

Die Geschichte ist Kolportage, aber das gehört bei Graf längst zum Prinzip. Er zwingt dem Trivialen wahre Gefühle ab, ohne den Umweg über mimetische Glaubwürdigkeit. Ich kenne keinen anderen Regisseur, der das hinbekommt, und meisterhafter von Film zu Film. Wie die Tonspur das Bild hintertreibt, so unterlaufen die Darsteller alle psychologische Konvention. Gegen das große Gefühl steht der Abbruch genau da, wor die Figur erklärt würde. Grafs Erzählen treibt von Höhepunkt zu Höhepunkt, aber indem er die beruhigenden Verbindungsstücke auslässt, bleiben diese Höhepunkte erratisch. Er synkopiert Bild wie Ton und nützt, Pausen nur an Stellen setzend, an denen man sie nicht erwartet, die Wirklichkeitsvergessenheit der Kolportage, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der alles möglich scheint. Manchmal wollen die Bücher, die er sich schreiben lässt, zu viel, es geht ihnen der Text über, wo Intensität sein sollte und man merkt Graf die Arbeit an, mit den Emotionen hinterherzukommen.

Dabei ist der Text zentral, denn das Genre ist das Melodram. Zu dem gehört das Reden, das Erklären, das Hochpeitschen durchs Wort. Die Darsteller bei Graf sind sprechende, nie schweigende Darsteller - und Jessica Schwarz und Matthias Schweighöfer sind, wie schon in "Die Freunde der Freunde", großartig - sie sind aufgerührt, es geht, in diesen ganzen der Kolportage, dem Klischee, der Unwahrscheinlichkeit abgetrotzten Geschichten vor allem um das Modulieren komplexer Spannungen um eine Mitte herum, die ausgespart bleiben muss. Nur dass der Betrachter, als Mitfiebernder, nicht direkt an diese Spannungen angeschlossen werden soll, sondern selbst im angespanntesten Verhältnis zu den Geschehnissen steht. Es gibt nicht die Figur, der er oder sie sich anvertrauen kann, nicht das reine Gefühl, auf das Verlass wäre.

"Kalter Frühling" hat eine moralische Botschaft und ein amoralisches Ende. Sylvia, die beinah enterbte Tochter, wird sich gerächt haben, wird ihren Vater verraten, ihre Mutter ans Kreuz geschlagen haben und so ans Ziel ihrer Wünsche gelangt sein. Sie hat alles gewonnen und ihre Seele verloren. Die Restitution der Familie gelingt um den Preis allseitigen Verrats. Das letzte Wort ist Wahrheit und Lüge, darin steckt die Radikalität dieses Films. "Ist alles gut?", fragt der Vater, nachdem alle Beziehungen zur Tochter umgestürzt sind, nichts wiedergutzumachen ist. "Ist alles gut?" "Ja", sagt die Tochter, die reine Wahrheit, die reine Lüge, die sie jetzt leben wird.

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