Kritik von Ekkehard Knörer
Eine Gittertür schließt sich, der dicke
Mann, der Räuber, ist gefangen. Er schießt auf den anderen, er
wird nicht entkommen können. Vor der Tür, jetzt vergittert, sein
Komplize, entsetzt, auf- und ablaufend, Passanten, sich nähernd, sich
entferndend, entsetzt, schreiend. Dann der dicke Mann, Gesicht zur Kamera,
vor dem hellen Ausschnitt der Tür, auf den die Kamera langsam, kaum
merklich zoomt, er setzt die Waffe an die rechte Schläfe. Schuss. Schnitt.
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Welt im Bild, als das, was im Kino der Fall ist, reduziert sich in "Ten"
auf das, was die Kamera aus nur drei Perspektiven in den Blick fallen
lässt. Es zeigt sich aber, überdeutlich in der Reduktion, dass
auch mit dem, was außerhalb des Rahmens liegt, den die Perspektive
gibt, zu rechnen ist. Am Ort, im Inneren des Autos, in das, die meiste Zeit,
die Kamera blickt, ist der Rahmen stets mit im Bild, und mehr als einer.
Als Seitenfenster, gerahmter Ausschnitt, Öffnung, Grenze zwischen Innen
und Außen, nicht überschreitbar für die Kamera, die aber
selbst an einer Grenze positioniert zu sein scheint, vor der Frontscheibe,
nicht im Innern, sondern außen, einem Außen, das mit dem direkten
Innenton verschnitten wird zur Illusion unmittelbarer Anwesenheit.
Bahram Beyzaie: Sagkoshi (Iran
2001)
Kritik von Ekkehard Knörer
Eine Serie von Konfontationen als serielle Anordnung von subtilen Schuss-
und Gegenschuss-Variationen. Ein Stehen, ein Sitzen, ein Huschen, ein
Konfrontieren; die Frau: trotzig, verängstigt, todesmutig, gedemütigt,
zu allem entschlossen, die Waffe in der zitternden Hand. Showdown auf Showdown.
Die Gesamtanlage theatral: Markierung der Auftritte, Verselbständigung
von Geräuschen und Bildhintergründen; die bewaffneten Männer,
vor dem Fenster der Fortgang des Hausbaus; der Lärm der Straße
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Vermischung von Dokumentarischem und Fiktion, die für das iranische
Kino so typisch ist, ist ein kluger Schachzug auch in diesem Fall, wo doch
die bittere Realität aus moralischen Gründen kein Jota Unschärfe
in ihrer Ab-Bildung zu erlauben scheint. Makhmalbaf vermeidet in dieser
Hybridisierung jedoch geschickt die Fallen eines naiven Dokumentarrealismus,
lässt die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion grundsätzlich
verwischt und findet genau auf dieser Grenze (der Fiktionalisierung des "Realen"
und der realen "Wahrheit" seiner Fiktion) die denkwürdigen Bilder, die
die Stärke des Films ausmachen.
Kritik von Ekkehard Knörer
Zeit der trunkenen Pferde ist ein Film über die Grenze. Sie ist Fluch
und Segen zugleich für die Dorfbewohner, die sich ihren Lebensunterhalt
durch den Schmuggel verdienen und dabei immer ihr Leben riskieren. Es ist
ein Leben an der Grenze auch im ganz existenziellen Sinn: viel mehr als das
bloße Leben und Überleben haben die Kinder nicht. Und doch gibt
es diesen Überschuss übers Kalkulieren mit dem Lebensnotwendigen
in der Fürsorge für den verkrüppelten Madi. An ihm, dem Hilflosen,
hält das familiale Band zusammen, mit ihm auf dem Rücken wird Ayub
am Ende, against all odds, über die Grenze gelangen.
Kritik von Ekkehard Knörer
Jafar Panahis Der Kreis ist ein Zwitter aus Realismus und artifizieller Form.
Anders als sein Lehrer Abbas Kiarostami nutzt Panahi diesen Doppelcharakter
nicht zur Reflexion aufs Medium, sondern zu politischer Schlagkraft. Formal
gehorcht der Film der Struktur des Reigens, der Verbindung eines Abschnitts
mit dem nächsten in der Begegnung der einander ablösenden
Zentralfiguren (ganz ähnlich wie bei Richard Linklaters 'Slacker').
Von Ekkehard Knörer
Nach wie vor inszeniert Kiarostami Kinder- und Laiendarsteller in ihren
angestammten Umgebungen, filmt Straßen, Landschaften, einfache Menschen.
Ganz sanft nur bekommen die so klaren, so wunderbar sonnendurchfluteten Bilder
ein zweites Gesicht, werden lesbar auf die ganz andere Topographie von Himmel
und Hölle, auf die Sehnsucht des Protagonisten nach Erlösung. Das
Atemberaubende an Kiarostamis Kunst ist, dass er dazu weder die Mittel des
Symbols noch der Allegorie benötigt: es geht nicht darum, Gegenstände,
Personen, Bilder und Tableaus mit Bedeutung aufzuladen, und sie darunter
zu begraben. Alles behält seine Schönheit im Zustand unbedeutendster
Konkretion.
Von Ekkehard Knörer
Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie ist fiktiv aufgehoben, die
schwarz-weißen Bilder von Makhmalbafs Film üben die Mimikry an
der schwarz-weißen Filmgeschichte des iranischen Kinos. Die Tricks
sind so alt wie diese selbst. Das Rückwärtsspielen, die
Geistererscheinung. Dazu der Slapstick, der über den etwas
schwerfälligen Anfang siegt. Die Dinge beschleunigen sich, bis zur Raserei,
zur Bilderflucht.
Von Ekkehard Knörer
Ein Vorhang wird geöffnet, wir sehen die Vorbereitungen zum
Theaterstück, die Ankunft der Theatertruppe. Wir sehen das Haus, den
Autor, die Darsteller. Dann der Auftritt des Publikums, die Frau des Bruders,
der verstorben ist, ein Telegramm ruft sie auf die Bühne. Die Bühne
ist das Haus. Das Theaterstück wird inszeniert, um sie zu töten.
Eine "Gaslight"-Geschichte mit erheblich größerem Aufwand. Was
passiert, passiert nur für das Opfer, das von der Darstellung
überwältigt werden soll.
Von Ekkehard Knörer
So ist "Bashu", in der Montage, reines Kino. Er ist aber auch dem Ritus
abgewonnenes Theater. Es ist, als wohnte man der Erfindung von Riten bei.
Die Frau, die zur Mutter werden wird, ahmt Tiergeräusche nach. Der Sohn,
der nicht ihre Sprache spricht, lernt es von ihr. Diese Geräusche
durchbrechen das, was Kommunikation wäre, menschliche Kommunikation,
durch einen noch nicht instituierten Ritus, der nichts mit Naturmystik zu
tun hat, sondern mit einer ganz eigenen Weise, miteinander zu sein.
Verständigung nicht als Austausch von Botschaften, sondern
Verständigung als Finden eines Ritus, dessen Bedeutung keineswegs klar
ist, abgesehen davon, dass beide an diesem Finden beteiligt sind, die
Geräusche so zum Ritus werden lassen.
Von Ekkehard Knörer
Es ist, als wollte der Film sich, seine Geschichte, weniger im Zirkulieren
der Hauptfigur als in den oft fast frenetisch geschnittenen Ausbruchsbewegungen
situieren. Es ist, so viel steht fest, keinesfalls irgendeine Form von Ruhe
oder steady state, die er sucht. Er fiebert sich darin um sein Leitmotiv,
verliert alle Geschlossenheit. Das mag eher Symptom eines Zustands des
Makhmalbaf-Kinos und seines Blicks auf eine zerrissene Gesellschaft sein
als gelungene Vollstreckung eines Kunstwillens. Faszinierend aber: allemal. |